Bekennen Sie sich, Herr Spahn!
Im Frühjahr 2020 haben die wenigsten von uns lange gezögert: Wir haben konsequent und unaufgeregt den Schalter in unseren Praxen umgelegt auf Corona. Wir gründeten Coronaambulanzen und glichen die anfänglich fehlenden Masken und Schutzkleidung mit Beständen aus Vogelgrippezeiten aus. Wir besuchten und versorgten Coronapatienten zu Hause, waren laut Minister Spahn der erste Schutzwall.
Wir erkannten schnell die Vorteile der Corona-Antigen-Schnelltests und setzten uns über die öffentliche Feststellung hinweg, dass nur medizinisches Fachpersonal den Abstrich abnehmen kann. Die permanent steigenden Infektionszahlen erforderten einfach mehr Testungen in kurzen Zeitabschnitten. Patienten wurde die Testmethode in Praxen „beigebracht“, Besucher wurden in der Küche getestet und durften nur mit negativen Testergebnissen mit FFP2-Maske und auf Abstand zu Eltern und Großeltern. Das Wissen wurde an Nachbarn und Freunde weitergegeben und Links zu Erklärvideos weitergereicht. So wurde mancher Besuch an Weihnachten ermöglicht.
Als dann deutsche validierte Tests auf den Markt kamen, die optimiert waren für Abstriche aus dem vorderen Nasenraum, ließ die Kritik an dieser Do-it-yourself-Testung für den Heimgebrauch merklich nach. Erst recht, nachdem eine externe Studie der European Society for External Quality Assessment (ESfEQA) ergab, dass die Ergebnisse der Abstriche aus dem Nasenvorraum mit den Abstrichen aus dem Nasen-Rachen-Raum sowohl bei Gesunden wie auch bei an COVID-19-Erkrankten übereinstimmten.
Daraufhin haben die Grünen die Erlaubnis gefordert, die entsprechende Änderung der Abgabeverordnung für Medizinprodukte vorzunehmen, um eine Testung zu Hause sozusagen zu legalisieren. Schöne Idee – in der Praxis hatte man diesen Testweg vielerorts ja sowieso schon für sich entdeckt. Besondere Situationen erfordern eben besondere Maßnahmen. Trotz des nicht zu überhörenden Wieherns des Amtsschimmels.
Dieses Beispiel der Schnelltests steht für die Arbeit meiner Kolleginnen und Kollegen an der Basis, denen es immer wieder gelingt, Lösungen für neu auftauchende Probleme in der Patientenversorgung zu finden. Dessen ungeachtet werden aber Empfehlungen unserer Kollegen aus der Virologie, die in Talksendungen hoch und runter dekliniert werden, von der Politik sofort umgesetzt, während wir, die über eine jahrzehntelange Erfahrung mit beispielsweise schnellen Massenimpfungen verfügen, nicht gefragt bzw. nicht gehört wurden und werden.
Warum hat man denn die Hausärzte nicht von Anfang an mit der Coronaimpfung beauftragt? Weil man uns die Auseinandersetzungen mit Patienten, die unbedingt geimpft werden wollen, am Praxistresen ersparen wollte? Aber, hallo lieber Herr Spahn, meinen Sie etwa, dass wir es mit entsprechender politischer Rückendeckung nicht schaffen, die Priorisierungsvorgaben umzusetzen? Wahrscheinlich hätten wir bereits während der ersten Impfung bemerkt, dass sich in dem Impffläschchen nicht fünf, sondern sechs Impfdosen befinden. Und hätten diese Dosis dann auch sinnvoll verimpft – mit Off-Label-Use haben wir Erfahrung.
Im ersten „Zusammen gegen Corona“-Livestream im neuen Jahr appellierte Jens Spahn an die Hausärzte. Er sprach von einem notwendigen kontinuierlichen Informationsaustausch. Trotzdem ist er offensichtlich nicht bereit, Entscheidungen zu treffen, die das Impfen gegen die Grippe und gegen Sars-CoV-2 tatsächlich erleichtern würden. Konkret: die Haftung für nicht-verimpften Grippeimpfstoff abzuschaffen und die Fahrtkosten für notwendige Krankentransporte zur Coronaimpfung in der Hausarztpraxis übernehmen zu lassen. Denn ohne das können wir immobilen Patienten nur schwer die notwendigen Impfungen zukommen lassen. Obwohl wir es könnten.