Beurteilung beruflicher Risiken bei Diabetes hat sich deutlich geändert

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Diabetikern stehen Berufe mit Waffe grundsätzlich erst einmal offen – über die Eignung wird individuell entschieden. (Agenturfoto) Diabetikern stehen Berufe mit Waffe grundsätzlich erst einmal offen – über die Eignung wird individuell entschieden. (Agenturfoto) © benjaminnolte – stock.adobe.com

„Das geht keinesfalls!“ – mit diesen Worten wurde oft noch vor wenigen Jahren jungen Menschen mit Typ-1-Diabetes der Traum vom Wunschberuf zerstört. Viele Tätigkeiten waren für sie wegen eines vermuteten erhöhten Unfallrisikos tabu. Das hat sich grundlegend geändert. Statt einer Verbotsliste gibt es jetzt eine individuelle und ressourcenorientierte Beurteilung der beruflichen Möglichkeiten.

Elisabeth Mikulin ist 25 Jahre alt. Sie sieht sich selbst als lebender Beweis dafür, dass auch für Diabetiker ein Beruf mit Dienstwaffe möglich ist. Manche hätten dies für unmöglich gehalten. Als Schülerin habe sie dennoch nach Tätigkeitsfeldern beim Zoll recherchiert und sich beworben und letztlich nicht nur ihre Ausbildung abgeschlossen, sondern auch einen Sicherheits- und Bewaffnungslehrgang erfolgreich absolviert. Ihr Prüfer – selbst an Diabetes erkrankt, wie sich später herausstellte – nannte es ihr gegenüber einen Trugschluss, dass Diabetiker nicht in waffentragenden Bereichen tätig sein dürfen. Sehe der Amtsarzt die Person als körperlich und psychisch geeignet an, stehe dem Beruf nichts im Wege.

Auch heute, in ihrem Job als Zollobersekretärin im Bereich Finanzkontrolle/Schwarzarbeit, bei Einsätzen des Zolls und im Training sieht sich die junge Frau keinen Einschränkungen gegenüber. Sie gehe allerdings auch offen mit ihrer Erkrankung um. Und außerdem sei sie nicht die Einzige bei der Arbeit, „die mit einem Sensor herumläuft“.

Es gebe im Gegensatz zu früher nur noch wenige berufliche Einschränkung wegen eines Diabetes, bestätigt Professor Dr. Andreas Neu, Vizepräsident der DDG und kommissarischer Ärztlicher Direktor an der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Tübingen.

Bewertung nicht mehr defizit-, sondern ressourcenorientiert

Wie der Diabetologe unterstreicht, finden sich bei Diabetikern (egal ob mit oraler Medikation oder Insulin behandelt) statistisch weniger Arbeitsunfälle als in der Gesamtbevölkerung. Das hätten Krankenkassendaten für 2017 gezeigt. So sei z.B. in der Regel nicht Diabetes Ursache für den Absturz eines Dachdeckers oder Zimmermanns, sondern das Nichteinhalten der Arbeitsvorschriften.

Eine pauschale Beurteilung der Berufsfähigkeit alleine aufgrund der Diagnose Diabetes sei somit nicht angemessen, betont der Spezialist. Deshalb werde heute auch nicht mehr eine defizitorientierte, pauschale Beurteilung praktiziert, man setze vielmehr auf eine individuelle, ressourcenorientierte. „Hier hat ein entscheidender Paradigmenwechsel stattgefunden“, beschreibt Prof. Neu die Veränderung.

Drei Aspekte stünden bei der Berufsfähigkeit im Fokus: Tätigkeit, Arbeitsplatz sowie krankheitsspezifische Risiken oder gesundheitliche Einschränkungen. „Eine besondere Rolle im Kontext des Diabetes spielt immer die Gefahr der Unterzuckerung“, bemerkt der Diabetologe. Allerdings stellten schwere Unterzuckerungen am Arbeitsplatz ein seltenes Ereignis dar. Zusätzliche Sicherheit böten Sensoren zur kontinuierlichen Glukosemessung.

Die Einschätzung des Hypoglykämierisikos ist laut Prof. Neu ein klassisches Problem bei Berufen mit Personenbeförderung (insbesondere im Flugverkehr), mit Absturzgefahr (Dachdecker), bei Arbeiten im Überdruckbereich (Tauchen) oder bei Tätigkeiten mit berufsmäßigem Waffengebrauch (Polizei).

Quelle: DDG-Jahrespressekonferenz