
Diskriminiert wegen Diabetes Man muss 150% geben, um ernst genommen zu werden

Man sollte meinen, dass Menschen mit Typ-1-Diabetes im 21. Jahrhundert keine Diskriminierung am Arbeitsplatz mehr erfahren – schon gar nicht, wenn sie im medizinischen Bereich arbeiten. Dr. Louisa van den Boom, Diabetologin und Kinderärztin, musste leidvoll das Gegenteil feststellen. „Es ist schwer zu glauben, was da immer noch passiert“, berichtet sie. „Ich will das natürlich nicht pauschalisieren. Nicht jeder hat Vorurteile. Aber es gibt sie definitiv noch.“ Die Medizinerin hat sich ihren beruflichen Weg gegen einige Widerstände erkämpft.
Einstellungsuntersuchung mit überraschendem Ergebnis
Ihre Diabetesdiagnose erhielt sie relativ spät, mit Mitte 20. Sie hatte gerade ihr Medizinstudium beendet und ihr Examen gemacht. Sie wollte Fachärztin für Pädiatrie werden. Nach einigem Suchen bekam sie eine Stelle in einer Kinderklinik in der Umgebung von Bonn. Doch bei der Einstellungsuntersuchung waren die Blutzuckerwerte erstaunlich hoch. Wenig später stellte ein Diabetologe fest: Es handelt sich um Typ-1-Diabetes. Der zuständige Mediziner verkündete die Nachricht destruktiv und empathielos. Er meinte: „Das geht nie wieder weg. Suchen sie sich einen anderen Job. Sie werden nie wieder als Ärztin arbeiten können.“ Völlig frustriert verließ Dr. van den Boom die Sprechstunde. Wenig später kündigte ihr die Klinik. „Ich habe mich behandelt gefühlt wie ein Mensch zweiter Klasse.“
Die Ärztin trat daraufhin eine Stelle in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie an, merkte aber nach einiger Zeit, dass es nicht ihr Wunschgebiet war. Also bewarb sie sich als Assistenzärztin in einem Diabeteszentrum. „Ich dachte, wenn ich mich sowieso 24 Stunden und sieben Tage die Woche mit Diabetes beschäftige, dann kann ich das auch zu meinem Job machen.“
Im Zentrum machte sie erstmals positive Erfahrungen im Umgang Dritter mit ihrer Erkrankung. So war diese für ihren Vorgesetzten kein Problem. Im Gegenteil: Er habe es sogar zu schätzen gewusst, dass sie für die Patienten als ermutigendes Beispiel dienen konnte, erzählt Dr. van den Boom. „Da habe ich gemerkt: Vielleicht kann ich doch Kinderärztin werden.“
Als die Medizinerin später versuchte, wieder in der Pädiatrie Fuß zu fassen, hallten die schlechten Erinnerungen an 2004 in ihr nach. „Ich hatte Angst, dass mich ohnehin niemand einstellt.“ Ab 2009 arbeitete sie dann erneut in einer Kinderklinik. Dort begegnete ihr zwar keine offene Ablehnung, aber ein ständiger Zweifel: „Nachtdienst? Das geht doch gar nicht. Du hast doch Diabetes.“
Selbstverständlich weiß die Diabetologin ihre Erkrankung routiniert zu managen. „Natürlich kann man seinen Diabetes so einstellen, dass man im Nachtdienst nicht unterzuckert oder überzuckert.“
Fragwürdige Bemerkung seitens einer Betriebsärztin
Wenn es nach Dr. van den Boom ginge, könnte die Erkrankung beruflich einfach im Hintergrund bleiben. Doch leider würden Betroffene maßgeblich über den Diabetes definiert, berichtet sie. „Man muss dann beweisen, dass man gleichwertig ist. 100 % zu geben reicht nicht, es müssen 150 % sein, damit man überhaupt ernst genommen wird.“ Die Ärztin boxte sich trotzdem durch und machte ihren Facharzt für Pädiatrie. Ihre Wege führten sie als Oberärztin in ein weiteres Diabeteszentrum. Dort konnte sie sich dank ihrer Spezialisierungen ausgiebig mit der Kinderdiabetologie beschäftigen und erlangte ihre Zusatzbezeichnung für Diabetologie.
Nach einem erneuten Wechsel an eine Kinderklinik, geriet die Medizinerin in ihre nächste schwere Begegnung mit einer Betriebsärztin. „Sie hat mir ins Gesicht gesagt – wissend, dass ich jahrelang als Diabetologin tätig war – die meisten Menschen mit Diabetes seien intellektuell nicht fähig, ihre Therapie umzusetzen.“ Dr. van den Boom war fassungslos ob dieser Unverschämtheit. „Ich saß da und wusste nicht, was ich machen soll.“ Aus Erfahrung im beruflichen Umfeld könne sie berichten, dass oftmals Äußerungen dahingehend vernommen würden, dass man als „empfindlich“ charakterisiert werde, bis hin zu man „solle sich nicht so anstellen“.