Pilot mit Diabetes – Handlungsprotokolle ermöglichen riskante Beschäftigungen
Feuerwehr, Polizei, Luftfahrt: In Deutschland und vielen anderen Ländern sind manche Berufsfelder für Menschen mit Diabetes mellitus nur schwer oder gar nicht zugänglich. Doch es gibt Entwicklungen, die langfristig auf eine Veränderung hoffen lassen.
„Es gibt keine eindeutigen Daten, die eine erhöhte Unfallgefahr bei Menschen mit Diabetes zeigen“, betont Dr. Kurt Rinnert, leitender Betriebsarzt der Stadt Köln, Diabetologe DDG sowie Umwelt- und Arbeitsmediziner. Allerdings bestehe nach Hypoglykämien, bei unzureichender Schulung oder bei einer Hypoglykämiewahrnehmungsstörung durchaus ein erhöhtes Risiko. „Deshalb ist eine individuelle und differenzierte Betrachtung erforderlich.“
In einigen Sportarten und Berufsfeldern gelinge es, das Risiko durch eine gute Vorbereitung und die digitalen Fortschritte der Diabetestechnologie zu kompensieren, etwa durch Closed-Loop-Systeme. Wichtige Voraussetzung für viele Tätigkeiten bleibe aber, dass auf Hypoglykämien schnell reagiert werden kann. Dies sei beispielsweise bei Feuerwehrleuten, Polizisten und Soldaten aufgrund schwieriger Einsatzbedingungen und der Schutzkleidung nicht möglich.
Zu ergreifende Maßnahmen richten sich nach Ampelsystem
Doch es geht auch anders: In sechs Ländern, u.a. den USA, Großbritannien und Australien, dürfen Menschen mit Diabetes seit 2012 Flugzeuge steuern, berichtet der Betriebsmediziner. Ermöglicht werde dies vor allem durch detaillierte Protokolle, die festhalten, was insulinpflichtige Piloten vor und während des Fluges tun sollen, je nach Blutwert. In Großbritannien wird hierfür ein Ampelsystem genutzt: Solange die Werte im grünen Bereich liegen, ist kein Eingreifen erforderlich, rutschen die Werte in den gelben oder roten Bereich muss der Betroffene versuchen, die Werte durch verschiedene Maßnahmen zu normalisieren und seine Pflichten an jemand anderen übertragen.
Eine Studie weist darauf hin, dass solche Protokolle gut funktionieren: Die Blutwerte von 49 Piloten, die von 2012 bis 2019 an einer Langzeitstudie teilnahmen, lagen zu 98 % im grünen Bereich. Dr. Rinnert erklärt dies unter anderem damit, dass das Protokoll eine sehr engmaschige Kontrolle und Dokumentation vorsieht.
Um Menschen mit Diabetes künftig mehr Berufsfelder zu öffnen, schlägt der Betriebsmediziner auch hierzulande neue Parameter für das Risikomanagement am Arbeitsplatz vor. So könne man ambulante Glukoseprofile und CGM-Systeme nutzen, um aufgezeichnete Daten auszuwerten und Risikobereiche zu definieren. Tätigkeiten mit niedrigem Risiko, etwa im Büro oder im Verkauf, könnten auch für Menschen erwogen werden, deren Werte nur für 30 % der Zeit in einem sehr eng gefassten grünen Bereich liegen. Etwas riskantere Berufe wie Bauarbeiter oder Lkw-Fahrer seien ab 50 % denkbar, Berufe mit hohem Risiko ab 70 %.
Zusätzlich könne man langfristig darüber nachdenken, ob CGM-System und Insulinpumpe eine „Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben“ sein könnten, falls Krankenkassen die Geräte nicht erstatten.
Um die Zusammenarbeit von Menschen mit Diabetes, Betriebsärzten, Hausärzten und Diabetologen zu erleichtern, hat die Initiative „Diabetes@Work“ eine Checkliste geschaffen. Auf der einen Seite trägt der Betriebsarzt arbeitsbezogene Daten über den Patienten ein, die andere Seite befüllen Hausarzt oder Diabetologe mit den diabetesspezifischen Informationen zum Patienten.
Quelle: Diabetes Herbsttagung 2020