Dicke Luft im Flugzeug Kabinenluft kann gefährlich werden

Autor: Manuela Arand

Es gibt nur wenige Flugzeuge, welche die Kabinenluft ohne Zapfluftanlage erzeugen. Es gibt nur wenige Flugzeuge, welche die Kabinenluft ohne Zapfluftanlage erzeugen. © kadosafia – stock.adobe.com

Als ein Pilot eines Frachtflugzeugs im Anflug auf Leipzig einen intensiven unangenehmen Geruch bemerkt und die Sauerstoffmaske aufzieht, ist er schon nicht mehr in der Lage, den Flieger zu landen. Kognitive Probleme zwingen ihn, den Autopiloten einzuschalten. Sein Kollege hat bereits das Bewusstsein verloren.

Der beschriebene Pilot war das erste FUSE-Opfer, das Dr. Frank ­Powitz, niedergelassener Pneumologe aus München, behandelt hat. FUSE steht für Fume-and-Smell-Event und klingt harmloser als es ist. Zum Hintergrund: In den meisten Flugzeugen stammt die Kabinenluft von Zapfluftanlagen an den Triebwerken und wird dort nahezu unausweichlich mit Pyrolyseprodukten von Schmierstoffen und Maschinenölen kontaminiert. „Eine Low-Level-­Leakage ist bei praktisch allen Triebwerken technisch vorgesehen“, berichtete Dr. Powitz. Außerdem gibt es nur wenige Flugzeuge, welche die Kabinenluft ohne Zapfluftanlage erzeugen. Stärkere Lecks durch undichte Ventile führen dann zu FUSE, wobei eine Vielzahl von Stoffen in die Kabinenluft gelangt, u.a. potenziell neurotoxische Trikresylphosphate, Organophosphate und andere volatile Komponenten.1

Effekte summieren sich nach mehreren Events

Ein Monitoring der Kabinenluft findet nicht statt, „nicht mal eine CO-Messung“, monierte der Kollege. Außerdem vernachlässigen fast alle toxikologischen Studien Wechselwirkungen zwischen den Inhaltsstoffen, obwohl nachgewiesen ist, dass z.B. Organophosphate synergistisch wirken.2 Dass Crewmitglieder nach FUSE häufig medizinisch untersucht werden müssen, Passagiere dagegen so gut wie nie, deutet darauf hin, dass sich Effekte der ständigen Low-Level-Exposition summieren.

In einem aktuellen Review3 wird die Inzidenz von FUSE-Zwischenfällen mit 1:10.000 bis 1:1.000 Flügen angegeben. Ausgehend von der Tatsache, dass im Jahr vor Beginn der Coronapandemie weltweit 47 Millionen Flüge stattfanden, ist also von 4.700 bis 47.000 FUSE-Fällen auszugehen. Der deutschen Berufsgenossenschaft (BG) Verkehr wurden 2013 fast 1.000 Fälle gemeldet. Seither sind die Zahlen zurückgegangen. 2019 lagen sie noch bei rund 500.

FUSE-Symptome können sich in diversen Formen äußern

Das Beschwerdebild nach einer solchen Schadstoffexposition ist äußerst bunt. Am häufigsten berichtet werden neurologische Symptome wie Kognitions- und Koordinationsstörungen, Kopfschmerzen und Parästhesien, daneben gastrointestinale Probleme (Übelkeit, Erbrechen) und Atemwegssymptome mit Dyspnoe, Husten und Belastungsintoleranz bei meist normaler Spirometrie, aber eingeschränkter Diffusionskapazität. Die Spiroergometrie zeigt nach Erfahrung von Dr. Powitz oft ein Plateau beim Sauerstoffpuls bei inadäquat starkem Anstieg der Herz­frequenz und erniedrigtem VO2-Peak. Ausgeprägte Symptome kommen bereits nach einmaliger Exposition vor. Akutsymptome nach FUSE werden in der Regel als Arbeitsunfall anerkannt. Wenn die Symptome länger anhalten, sperrt sich die BG allerdings meist mit Verweis auf Unklarheiten beim Kausalzusammenhang, die weiteren Kosten zu tragen.

„Angesichts der vielen Berichte und der ausgeprägten Beeinträchtigungen der Patienten scheint es fragwürdig, nicht an einen kausalen Link zu glauben“, meinte Dr. Powitz. Nach seiner Erfahrung leiden viele Patienten noch Monate nach dem Akutereignis unter Belastungs­intoleranz und neurologischen Problemen. „Das gründlich zu untersuchen, gebietet die Flugsicherheit, aber auch die Verantwortung für die Beschäftigten.“ Wichtig ist ihm festzuhalten, dass es sich bei FUSE-Folgen nicht um eine somatoforme Störung handelt – in der Praxis wird das offenbar gerne als Begründung genutzt, Betroffenen die weitere Dia­gnostik zu verweigern.

Quellen:
1. Michaelis S et al. Environ Health 2021; 20: 89; DOI: 10.1186/s12940-021-00770-7
2. Howard CV. Open Acc J of Toxicol 2020; 4: 555634; DOI: 10.19080/OAJT.2020.04.555634
3. Hayes K et al. Sci Total Environ 2021; 796: 148742; DOI: 10.1016/j.scitotenv.2021.148742
4. 63. Kongress der Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e.V.