Kommentar Chefsache
Menschen, die zum Arzt gehen, sind manchmal anstrengend. Zum Beispiel weil sie einen Gesprächspartner brauchen oder weil sie alt sind. Oder weil sie eine große oder komplizierte Familie haben. Und meistens ist der Umgang mit Besuchern einer Arztpraxis deswegen nicht leicht, weil diese Menschen krank sind und sich in Situationen befinden, die sie verunsichern oder ihnen Angst machen.
Anspruchslos war der Job der MFA deswegen noch nie. MFA brauchen Empathie, Menschenkenntnis und Geduld, sie müssen stressresistent sein, organisatorisch topfit und über medizinisches Grundverständnis verfügen. Und sie müssen die Patienten lieben. Sonst könnten sie ihnen nie all das verzeihen, was diese ihnen antun. Deswegen wurden gute MFA schon immer „Perlen“ genannt. Oder „Seele der Praxis“. Diese Worte klingen altmodisch – aber was sie ausdrücken sollen, hat sich nicht verändert.
Eines hat sich aber verändert: nämlich die Menge der Anforderungen, die eine Praxis an ihre Mitarbeitenden stellen muss. Keine MFA kommt heute mehr ohne ein mittelprächtiges Verständnis für Digitalisierung klar. Keine kann den Praxisalltag überstehen, wenn sie nicht mit überdrehten Anspruchshaltungen und Patienten am Rande der Erträglichkeit umgehen kann. Und beim Blick auf die Bevölkerungsstruktur ist auch klar, dass sich keine MFA mehr einer weiteren Delegation von Aufgaben, die in vielen Praxen noch als Chefsache betrachtet werden, entziehen können wird.
Was heißt das für den Beruf? Ein Praxisberater hat mir gesagt, eigentlich müssten MFA mit Realschulabschluss einen Einserschnitt vorweisen oder gleich ein Abitur mit Zweierschnitt, wenn sie im Arbeitsalltag einer halbwegs modernen Praxis bestehen wollen. Okay – da wäre es bei mir schon fast eng geworden.
Wie kann das gehen in Zeiten von Fachkräftemangel, Nachwuchsmangel und Einsichtsmangel? Politisch ist aktuell noch kein Perspektive in Sicht, weder über eine Würdigung der Leistung dieses Berufes noch über einen verbindlichen Tarifvertrag noch über eine Refinanzierung der Personalkosten für die Praxen.
Selbst ist der Arzt bzw. die Ärztin – es bleibt ihnen auch keine Wahl. Wollen die Praxen nicht in den nächsten Jahren am begrenzenden Faktor „Fachkräfte“ Schaden nehmen, müssen sie jetzt anfangen, dem Problem zu begegnen. Manch einer wird dabei seine Haltung den Mitarbeitenden gegenüber überdenken müssen. Denn ohne qualifizierende, organisatorische und finanzielle Aufwertung der Tätigkeit werden die Praxen die guten Leute nicht halten können.
Anouschka Wasner
Redakteurin Gesundheitspolitik