Kommentar Medizin unter ökonomischem Druck
KV-, Kammer- und Verbandsvertreter kritisieren, die Fremdinvestoren betrieben Rosinenpickerei. Sie trügen kaum dazu bei, in strukturschwachen Regionen Versorgungslücken zu schließen. Die dort beschäftigten Kolleginnen und Kollegen würden mit ökonomischen Zielvorgaben zu einer Diagnostik und Therapie gedrängt, die nicht durchweg mit dem ärztlich-ethischen Selbstverständnis vereinbar sei.
In diesem Tenor hat sich jetzt auch wieder der 125. Deutsche Ärztetag positioniert. Bei der jüngsten KBV-Vertreterversammlung waren ebenfalls Beschlüsse gefasst worden, wie das MVZ-Engagement von Private-Equity-Gesellschaften, die gar noch in Steueroasen sitzen, eingedämmt werden kann. Der Ärztetag fordert ein „Fremdbesitzverbot“ für Praxen und MVZ. Zumindest sollte der Versorgungsauftrag begrenzt werden. Zum Vermeiden einer regional „marktbeherrschenden Stellung“ sollten Anträge auf Zulassung und Anstellung von Ärzten abgelehnt werden dürfen. Es gibt auch KV-Vorstände, die sich für MVZ als Eigenbetriebe der KV stark machen. Diese könnten als Schmiede für junge Ärztinnen und Ärzte dienen, die später die Einrichtung zu erschwinglichen Preisen übernehmen.
Solche Vorschläge klingen plausibel. Selbst wenn sie in der Phase „Wehret den Anfängen“ vorgebracht werden. Doch es verwundert ebenso nicht, dass der Gesetzgeber bisher gezögert hat, stärker in die Entwicklung einzugreifen. Denn nicht nur Investoren-MVZ verhalten sich gewinnorientiert, wie ein Gutachten bei den Zahnärzten zeigte. 92 % der rund 22.000 Ärzte, die Ende 2019 in MVZ tätig waren, arbeiten als Angestellte. Ökonomische Vorgaben stören sie offenbar weniger als der wirtschaftliche Druck, der auf ihnen als Selbstständigen lasten würde. Und ältere Ärzte freuen sich über MVZ, die ihre Sitze erwerben. Die Warner vor der Kommerzialisierung umweht somit stets der Duft der Klientelpolitik. Aber auch die nächste Regierung wird damit umzugehen wissen.
Michael Reischmann
Ressortleiter Gesundheitspolitik