Kommentar Medizin ist eine Wissenschaft
Erinnern Sie sich noch an Ihr Studium? Ohne naturwissenschaftliche Kenntnisse ging gar nichts. In der Vorklinik durften wir uns mit Physik, Biologie, Chemie, Biochemie, Anatomie und Physiologie amüsieren, anschließend mit Pathophysiologie, Humangenetik, Mikrobiologie und Pharmakologie. Eine solide Basis zum Verständnis von Krankheiten – auch von psychiatrischen, die mittlerweile immer besser über gestörte Stoffwechselwege und epigenetische Veränderungen erklärt werden können.
Umso erstaunlicher ist, dass sich gar nicht so wenige Kollegen von der wissenschaftlichen Basis ihrer Ausbildung verabschiedet haben und auf Diagnose- und Heilverfahren setzen, die mit rationaler Medizin und Evidenz nun wirklich nichts zu tun haben. Es hat schon fast religiösen Charakter, wenn eigene Erfahrungen sowie mehrfach widerlegte Studien argumentativ herangezogen und nach akzeptierten wissenschaftlichen Kriterien durchgeführte Arbeiten für nichtig erklärt werden.
Eine Wirksamkeit nicht besser als Placebo oder, schlimmer noch, gar kein Effekt nachweisbar? Das erscheint den Anhängern so mancher diagnostischen Methode oder Heilbehandlung inakzeptabel – ansonsten würde ja das eigene Gedankengebäude und oft auch das Geschäftsmodell zusammenbrechen. An dieser Haltung ändern weder Statements und Beschlüsse von Ärztegremien etwas noch TV-Reportagen. Erst im Juni berichtete report München, manche der in der sog. Informationsmedizin eingesetzten Bioscanner könnten Menschen nicht von einem Leberkäse unterscheiden. Denoch würden sie auch von Ärzten eingesetzt. Der Markt boome.
Natürlich darf ein Arzt entscheiden, wie er seine Patienten behandelt, es gilt der Grundsatz der Therapiefreiheit. Nach einem Urteil des BGH ist sogar die Anwendung paraärztlicher Behandlungsformen grundsätzlich erlaubt. Aber ist das, was rechtens ist, auch legitim? Die Patienten sollten sich darauf verlassen können, dass sie von ihrem Arzt fachgerecht, d.h. gemäß dem aktuellen Wissensstand behandelt werden. Auch wenn manche es nicht wahrhaben wollen und über den „Evidenzwahn“ schimpfen: Die Zeiten der eminenzbasierten Medizin sind mittlerweile vorbei.
Birgit Maronde
Chefredakteurin Medical Tribune