Kommentar Danke, Herr Spahn, das genügt
Auf seinen letzten Metern als geschäftsführender Bundesgesundheitsminister erreichten Jens Spahn noch die Buh-Rufe aus der Ärzteschaft. Rücktritt legte ihm die KV Sachsen nahe. Die geschäftsführende Kanzlerin solle ihn abberufen, schallte es aus den Reihen der KV Bayerns. Mit der kommunikativ und organisatorisch vergeigten (Booster-)Impfkampagne mitten in der eskalierenden vierten Pandemiewelle zog der CDU-Politiker nochmals den geballten Zorn auf sich. Schließlich trietzt er die Praxen parallel mit den Vorbereitungen auf die elektronische AU-Bescheinigung und das elektronische Rezept. Digitalisierungsprobleme im Gesundheitswesen werden für immer mit seinem Namen verbunden sein. Kein schöner Abgang für einen Politiker, der sich selbst und dem viele andere zwischenzeitlich größere Aufgaben zugetraut hatten. Aus der Bewerbung um den CDU-Vorsitz 2018 wurde aber bekanntlich nichts. Und das Team Laschet-Spahn zog auch nicht. Mit Fortschreiten der Pandemie mit Maskenaffäre und unzureichenden Impferfolgen gelang es Spahn immer weniger, als Macher und Kommunikationsprofi zu glänzen. Hinzu kam der Abwärtstrend seiner Partei.
Dass der profunde Kenner des Gesundheitswesens als jüngster Minister im Kabinett Merkel IV nach den ruhigen Jahren von Hermann Gröhe viel anpacken würde, war klar. Die Kassen waren vor vier Jahren noch gut gefüllt. Also legte er sofort los. Sein Output an Gesetzen und Verordnungen wird legendär bleiben – was natürlich auch der Pandemie geschuldet ist. Ihm wird oft vorgeworfen, eine Politik mit Versuch-und-Irrtum, schnell statt gründlich, betrieben zu haben: Erstmal anfangen, Fristen setzen, beobachten und dann nachbessern. Liefern musste er bei der seit 2004 dahindümpelnden Digitalisierung und beim Schreckgespenst der Zweiklassenmedizin. Heute kennen die Versicherten die Terminservicestelle und Videosprechstunden, kriegen aber bei Versandapotheken keinen Rabatt mehr auf rezeptpflichtige Arzneien. Unerledigt blieben Reformen im Krankenhausbereich: Strukturen, Finanzierung, Notfallversorgung. Für eine neue GOÄ war die Zeit noch nicht reif.
Jetzt lautet die spannende Frage, ob es mit dem Bündnis von SPD, Grünen und FDP in der Corona- und Gesundheitspolitik besser laufen wird. Der Auftakt mit dem offiziellen Ende der epidemischen Lage nationaler Tragweite und dem Chaos beim Impfen und Testen überzeugte nicht. Jens Spahn, und das zeigt nicht nur der Blick auf die Infektionszahlen und die Milliarden-Defizite der Krankenkassen, hat seiner Nachfolgerin/seinem Nachfolger ein Minenfeld als Arbeitsplatz hinterlassen.
Michael Reischmann
Ressortleiter Gesundheitspolitik