Zukunft der Primärversorgung Clever digitalisiert und als Team
Wie müsste die Digitalisierung der Praxen gestaltet werden, damit sie Teams und Patienten von Nutzen ist? Eine Arbeitsgruppe des Deutschen Hausärzteverbandes hat dazu ein Positionspapier verfasst, das die Zustimmung der Delegierten erhielt.
Aufgelistet werden erforderliche Tools, damit Patienten digital ihren Praxisbesuch vorbereiten, im Wartezimmer Anamnesebögen und Einwilligungserklärungen ausfüllen und fürs Sprechzimmer strukturierte Vitaldaten und Vorbefunde zur Verfügung stellen können. Bescheinigungen/Verordnungen sollen sich leicht signieren, versenden und ablegen lassen. Per Video könnten Gebietsärzte dazugeschaltet werden. Die Patienten greifen von zu Hause auf Behandlungsdaten zu.
Auf dieser Konzeptbasis sollen nun Standards und Leistungsangebote entwickelt werden, die als Bestandteil der HzV diese noch attraktiver machen.
„Raus aus dem Zustand, dass uns etwas übergestülpt wird“
Ein Vorbild gibt es schon in Baden-Württemberg mit der „Elektronischen Arztvernetzung“, über die z.B. AU-Bescheinigungen digital an die AOK verschickt werden. Allerdings machte man mit dem elektronischen Arztbrief auch die Erfahrung, dass dieser zu komplex angelegt war. Jetzt soll sich eine einfache Variante durchsetzen.
Die Vision ist also eine an die HzV-Struktur adaptierte Plattform. „Damit kommen wir raus aus dem lethargischen Zustand, dass uns etwas übergestülpt wird“, meint Dr. Römer, Chefin des Hausärzteverbandes Rheinland-Pfalz. Ihr Wunsch richtet sich vor allem auf eine technisch unterstützte Kommunikation mit den Patienten. An einer weiteren Arbeitsverdichtung hat sie dagegen kein Interesse.
Bundesverbandschef Ulrich Weigeldt ergänzt: Man werde sich an die Regeln der gematik halten müssen, doch sollte der Verband nicht auf deren Lösungen warten, sondern diese selbst anschieben.
Die Delegierten forderten die gematik auf, die sog. TI 2.0 rasch umzusetzen, damit auf Hardware-Konnektoren komplett verzichtet werden kann. Außerdem verlangen sie vom Gesetzgeber, die Interoperabilität nach § 371 SGB V umfassender und spezifischer zu formulieren, damit Ärzte unabhängig von ihrem Praxisverwaltungssystem Hard- und Software in dieses integrieren können. Es sollten den Anbietern Sanktionen bei Nicht-Umsetzung drohen.
Was jetzt aus Sicht der Hausärzte zu tun ist
Eine Delegiertenversammlung dient der politischen Positionierung. Und so hat der Deutsche Hausärzteverband mehrere Signale gesetzt:
- Ukraine: Der Gesetzgeber wird aufgefordert, für die schnelle flächendeckende Ausgabe der elektronischen Gesundheitskarte an Geflüchtete zu sorgen. Es dürften keine komplizierten Vorgaben oder Begründungspflichten für die Ärzte geschaffen werden und keine Risiken bestehen, das bestimmte Leistungen nachträglich nicht erstattet werden.
- Apotheken: Der Gesetzgeber soll das Impfgeschehen in ärztlicher Hand belassen und von regelhaften Grippeschutzimpfungen in Apotheken absehen.
- GOÄ: Die Hoffnung, dass die Bundesärztekammer die GOÄ-Reform politisch umgesetzt bekommt, ist bei Dr. Oliver Funken, Chef des Hausärzteverbandes Nordrhein, gering. Darum stellte er den Antrag, den Verordnungsgeber aufzufordern, einer Hausarzt-GOÄ-Novelle mit Leistungskomplexen den Weg zu bereiten. Das würde die HzV-Geschichte auch im PKV-Bereich fortschreiben. Die Mehrheit der Delegierten meinte aber, mit diesem Thema solle sich erst einmal der Vorstand befassen und verschob es dorthin.
- Wann und wie sollte die COVID-Impfung in die Regelversorgung bei den Hausärzten überführt werden? Die Delegierten tauschten Pro- und Kontra-Argumente aus. Am Ende wurde der Antrag mit seinen sechs Forderungen an den Gesetzgeber an den Vorstand überwiesen. In diesem Herbst, vielleicht sogar noch länger, bleibe es beim Status quo der Impfverordnung, betonte der Vorstand. D.h. der Bund finanziert die Immunisierungen und haftet für gesundheitliche Schäden. Der DHÄV möchte aber, dass die Impfung zum hausärztlichen Regelangebot gehört – sobald von Pandemie keine Rede mehr ist. Die Ärzte wünschen sich auch Vereinfachungen wie Einzeldosen (sofern die Produktionskapazitäten das zulassen) und – falls technisch möglich – Kombi-Präparate mit Grippe-Impfstoff.
- Nach längerer Diskussion angenommen wurde ein Antrag zur Transparenz und Regulierung bei der MVZ-Trägerschaft. Zehn Eckpunkte umfasst der Katalog für gesetzgeberische Maßnahmen. Daraus soll nun eine „Formulierungshilfe“ für die Politik mit mehr Details werden. So wiesen Delegierte kritisch darauf hin, dass die geforderte Begrenzung der Zahl von MVZ-Angestellten für die ländliche Versorgung problematisch werden könnte. Auch die Möglichkeit des Zulassungsverzichts zugunsten eines MVZ zu streichen, sorgte für Bedenken, älteren Ärzten werde damit ein Teil ihrer Altersvorsorge genommen. Dass ein Krankenhaus-MVZ nur noch „in räumlicher Nähe“ zu der Klinik möglich sein soll, führte zur Frage, wie diese Nähe definiert werde. Einig war man sich aber u.a. darin, dass ein MVZ-Transparenzregister eingeführt werden soll, aus dem sich die nachgelagerten Inhaberstrukturen ergeben, und dass es eine Kennzeichnungspflicht dazu geben sollte.
- Einstimmige Forderungen nach einem steuerfinanzierten und abgabenfreien MFA-Bonus sowie der Reform der ärztlichen Approbationsordnung (Masterplan 2020) fehlten natürlich nicht.
Das zweite „D“, mit dem die HzV weiter aufblühen soll, ist die Delegation. Allerdings diskutierten die Delegierten darüber, ob man dieses Wort überhaupt verwenden oder nicht besser von „unter hausärztlicher Supervision“ sprechen sollte. Am Ende wurde dieser Bezug aus dem Antrag gestrichen. Der Bundesvorstand wurde beauftragt, Maßnahmen für den Umbau der HzV zur „Hausarztpraxiszentrierten Versorgung (Teampraxis)“ zu entwickeln.
Der Landesverband Baden-Württemberg hat schon angekündigt, diesen Weg einzuschlagen. Die Idee ist: Die Krankenkasse bezahlt eine Leistung pauschal – unabhängig davon, wer sie qualifiziert in der Praxis erbringt. Kontrolle und Haftung obliegt so und so den Praxisinhabern.
Bachelorstudium neben dem Verah-Job in der Praxis
Weigeldt und einige Delegierte sehen mit der Betonung der Delegation zwei Risiken verbunden. Erstens: Die Kassen könnten Honorarsenkungen fordern, wenn Leistungen, die bisher von Medizinern erbracht wurden, auf Nicht-Mediziner übertragen werden. Zweitens: Es ist möglicherweise nicht im Interesse der Hausärzte, wenn die Ärztekammer in einem Katalog festlegt, welche konkreten Leistungen delegationsfähig sind. Das könnte aber passieren – und „Ober sticht Unter“, warnt Weigeldt.
Dass der Hausärzteverband grundsätzlich auf Teamleistungen setzt, zeigt sich auch an dem neuen nebenberuflichen Bachelor-Studiengang für Verahs, der im September in Dortmund, Mannheim und München beginnt. Das fünfsemestrige Studium „Primärmedizinisches Versorgungs- und Praxismanagement“ kostet allerdings rund 9000 Euro.
Quelle: Delegiertenversammlung des Deutschen Hausärzteverbandes