Corona-Testergebnisse: Großes Dunkelfeld durch Bürokratie und mangelnde Aufklärung
Chemnitz an einem Donnerstag. Ein Zehnjähriger befindet sich wie seine Mitschüler schon in Quarantäne, weil die Hortnerin positiv auf SARS-CoV-2 getestet worden war. Ein Spuck-Schnelltest zu Hause meldet beim friebrigen Kind ebenso wie ein Nasal-Schnelltest: negativ. Die Mutter bringt den Sohn dennoch zum Kinderarzt, der einen PCR-Test in Auftrag gibt. Mit einem Code erhält die Mutter Zugang zum Testportal. Sie soll immer mal nach dem Ergebnis schauen, wird ihr aufgetragen. Aber wahrscheinlich komme das Ergebnis erst Anfang der Woche, sagt der Kinderarzt. Und tatsächlich, am Montag gegen 12 Uhr meldet er telefonisch eine Coronainfektion beim Kind. Das Labor stellt den Positivbefund noch später ein. Das Gesundheitsamt meldet sich fast eine Woche nach Abstrich.
Es ist kein Einzelfall. Nach jedem Wochenende und nach Feiertagen bietet sich bundesweit das gleiche Bild. Fehlende aktuelle Daten lassen die Inzidenzzahlen kurzfristig scheinbar sinken – fern von der Realität. Schon im Herbst 2020 hatte der Sender n-tv getitelt: „Bei steigender Positivquote: Viele Corona-Testergebnisse kommen zu spät.“ Offenbar hat sich daran bis heute nicht viel geändert. „Unter 116117 bekommt man hier nur einen PCR Test angeboten, auf dessen Ergebnis man 4–5 Tage warten muss. Ey, da könnte man ja schon beatmet oder tot sein. Wem nützt so ein Test?“, schreibt ein Twitternutzer. Berichtet wird auf der Plattform vielfach über langes Warten auf den PCR-Befund.
Die Akkreditierten Labore in der Medizin e.V. (ALM) erklären, dass Labore gehalten sind, innerhalb von 24 Stunden einen positiven Befund ans Gesundheitsamt zu melden. Für eine schnelle Befundübermittlung komme es aber letztlich darauf an, ob das Häkchen zur digitalen Befundübermittlung auch richtig gesetzt und der Arzt mit seiner EDV entsprechend angebunden sei. Fakt ist aber auch: Wenn Praxen geschlossen sind und Labore an Wochenenden und Feiertagen ihre Arbeit herunterfahren an, dann wird auch weniger getestet und ausgewertet.
Viel Hoffnung wird inzwischen in Antigen-Schnelltests gesetzt. Öffnungsstrategien der Bundesländer basieren darauf. Schnelltests für den Heimgebrauch sind in Supermärkten im Angebot und in Berlin wird vor dem Shoppen der Spuck-Schnelltest am Ladeneingang angeboten. Verkaufte Fake-Testbelege scheint es auch zu geben, wie Twitter-Nutzer Fabian Beiner beschreibt.
Petition: Testkits auf Erkennen von Corona-Varianten prüfen
Schnelltest-Abstrich mit Sorgfalt vornehmen
„Testen soll zum selbstverständlichen Lebensweltinhalt werden“, sagt Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Wissenschaftler des Robert Koch-Instituts verweisen jedoch darauf, dass eine geringere Sensitivität und Spezifität bei Schnelltests zu einer höheren Anzahl falsch negativer bzw. falsch positiver Testergebnisse führen kann. „Abstriche für Antigen-Schnelltests sind mit der gleichen Sorgfalt und Vorsicht vorzunehmen wie die für PCR-Tests“, mahnt Professor Dr. Jan Kramer vom ALM-Vorstand. Wie falsch negativ Testergebnisse sein können, zeigt das Eingangsbeispiel. Es könnte allerdings auch am Antigentest-Produkt selbst liegen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) überprüft diese. Zuerst war der Fokus gemäß Coronavirus-Testverordnung nur auf die professionellen Tests, wie sie u.a. in Altenheimen und Kliniken angewendet werden, gerichtet. Aufgeführt sind sie in der „Liste der Antigentests“. Es handelt sich sowohl um Produkte, die bereits mit positivem Ergebnis durch das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) evaluiert wurden, als auch um Produkte, wo ein solches Testergebnis noch nicht vorliegt. Daneben gibt es die Liste der „Tests zur Eigenanwendung durch Laien“. Für diese werden, wenn kein CE-Kennzeichen vorhanden ist, Sonderzulassungen nach §11 Medizinproduktegesetz ausgesprochen. Mindestkriterien müssen erfüllt sein. Basis bilden die Herstellerangaben. Das Bundesinstitut verweist jedoch darauf, dass Hersteller ihre Produkte – sofern sie über ein CE-Kennzeichen verfügen – auch ohne die Sonderzulassung auf den Markt bringen können. In diesen regulären Weg des Marktzugangs für Medizinprodukte sei das BfArM nicht eingebunden. Die Liste stelle insofern „keine umfassende Übersicht aller in Europa und damit auch in Deutschland auf dem Markt verfügbaren entsprechenden Antigentests dar“. Ein anderes Problem: Schnelltests decken Infektionen auf, Testungen und Positivfälle in Schulen und Kitas belegen das. Für Testungen, die von geschultem Personal durchgeführt werden, gibt es auch eine Meldepflicht. Ob und inwieweit aber Laienschnelltests Licht ins Dunkel bringen können, ist fraglich, denn eine Meldung positiver Fälle ist für Privatanwender nicht verpflichtend. Es wird nur per Gebrauchsanweisung dazu aufgefordert, positive Befunde durch PCR-Diagnostik überprüfen zu lassen. Labormediziner kritisieren diese fehlenden Daten sowohl zur Anzahl genutzter Tests, als auch zu Testbefunden. Nur bei Registrierung aller positiven Schnelltestbefunde könnten Rückschlüsse auf das gesamte Testgeschehen gezogen werden“, so ALM-Vorsitzender Dr. Michael Müller. Professor Lothar H. Wieler vom RKI sieht als einzigen Echtzeitindikator für die Pandemieentwicklung das 2020 eingerichtete Intensivbettenregister der DIVI. Schnelltests sind nach seiner Aussage nur „ein Layer obenauf“. Sie ersetzten keine der anderen Pandemie-Maßnahmen. Die Dunkelziffer werde dadurch auch nicht wesentlich beeinflusst.Elementare Aufklärung über Nutzen erforderlich
Eine verpflichtende Aufklärung über den Nutzen von Schnelltests fordert der Berufsverband Deutscher Laborärzte (BDL). „Viele Testpersonen glauben, dass sie mit der Negativ-Meldung auf dem Handy mehrere Tage nicht infektiös sind“, so der BDL-Vorsitzende Dr. Andreas Bobrowski. Ein Schnelltest sei aber „eine Momentaufnahme, die nicht einmal für einen Arbeitstag ausreicht“. Auch an anderen Testorten wie Schulen müsse zumindest eine elementare, auf die jeweilige Zielgruppe abgestimmte Aufklärung zu Infektionsrisiken und Fehleranfälligkeiten stattfinden.Medical-Tribune-Bericht