COVID-19: Labore stehen unter Dauerbelastung
Jede Woche veröffentlichen die Akkreditierten Labore in der Medizin (ALM) die Zahlen zu Coronatestungen. Rund 1,45 Mio. PCR-Tests auf SARS-CoV-2 standen bei ihnen in der 45. Kalenderwoche in den Büchern. Seit Beginn der Pandemie seien es über 20 Mio. PCR-Untersuchungen, so der 1. Vorsitzende der ALM, Dr. Michael Müller, im Gespräch mit Medical Tribune.
Hinzu kommen Leistungen aus Laboren, die zusätzlich ans Robert Koch-Institut (RKI) melden, in der Regel die Universitäten und einzelne Laboratorien. „Das RKI gibt eine Testkapazität von bundesweit 1,6 Mio. an. Zurzeit liegen die ALM bei 97 % Kapazitätsauslastung“, sagt der Laborarzt. Der Rückstau bei PCR-Tests habe sich Anfang November der Marke von 100 000 genähert.
Kapazitätsauslastung sollte nicht über 85 % liegen
Nach Ansicht von Dr. Müller ist bundesweit eine Zielgröße bei der Kapazitätsauslastung zwischen 65 und 85 % erstrebenswert. Nur dann bestünden auch genügend Reserven für die Testungen. „Wir haben durch die Hochbelastung selbst der Großgeräte einen erheblichen Verschleiß, Wartungsarbeiten nehmen zu.“
Sei die Kapazitätsgrenze überschritten, liefen auch die Lager für Reagenzien und Verbrauchsmaterial relativ rasch leer. Die weltweit wichtigen Materialien würden von den Herstellern inzwischen rationiert zugewiesen. Er spreche zwar nur für die akkreditierten Labore, so Dr. Müller. Diese deckten jedoch 90 % der Versorgung ab.
Teilweise fehlen Pipettenspitzen
Es gebe in einigen Regionen Engpässe bei Verbrauchsmaterialien, berichtet Professor Dr. Jan Kramer, stellv. ALM-Vorstandsvorsitzender. Es fehlten zum Teil Pipettenspitzen. Die Kapazitäten eines Labors würden zudem durch den Ausfall von Personal beeinflusst: „Wir sehen zunehmend Personalerschöpfungszustände, ähnlich wie in Kliniken.“ Jederzeit seien auch COVID-19-Erkrankungen des Fachpersonals möglich. „Auch hier hätten wir keine weiteren Reserven bei Ausfällen, wenn man die Auslastung der Labore auf 100 % fährt.“
Wie für die Kliniken bedürfe es für die Labore Mechanismen gegen Überlastungsszenarien, ergänzt Dr. Müller. „Die fachärztlichen Laboratorien haben seit März fast nichts anderes gemacht als Kapazitäten aufzubauen, Geräte zu installieren, neues Personal einzustellen und zu schulen.“ Das sei eine Dauerbelastung.
Die Corona-Warn-App haben mittlerweile mehr als 20 Mio. Menschen in Deutschland installiert. Sie wirkt nicht optimal und es hagelt Kritik. „Das ist so eine typisch deutsche Meckerei“, meint Dr. Müller. Immer mehr Laboratorien würden an die App angeschlossen, weit über 50 % der Ergebnisse würden inzwischen übertragen. „Das ist im Fluss. Für eine freiwillige App, die komplett in die Hände der Nutzer gelegt ist, sind wir innerhalb weniger Monate sehr weit gekommen.“ Technik und Übermittlung der Ergebnisse funktionieren, bestätigt Prof. Kramer. Es liege nun am Bürger, auf dem Anforderungsschein die Zustimmung zur Befundübermittlung an die App zu geben und das Ergebnis abzurufen.
Sollten Praxisärzte oder Gesundheitsämter getestete Personen zur Ergebnisfreigabe motivieren? Es ist sicher gut zu informieren, meint Dr. Müller. Er ist aber skeptisch, wenn es ums Überzeugen geht. Die App-Nutzung sei schließlich komplett freiwillig.
Zurzeit würden weitere Antigentests im Labor erprobt und evaluiert, berichtet Prof. Kramer. Entscheidend seien die Sensitivität und die Spezifität im Vergleich zum PCR-Test. Antigenschnelltests, die direkt in Arztpraxen, medizinischen und Pflegeeinrichtungen durchgeführt werden können, bezeichnet der Laborarzt als „ein weiteren Pfeil im Köcher der Diagnostik“ und wichtig zur Entlastung der PCR-Kapazitäten. Allerdings seien diese bei der Sensitivität im Vergleich zum direkten Virusnachweis per PCR eingeschränkter.
Blick auf BfArM-Liste wird geraten
Prof. Kramer rät Kollegen, sich vor Einsatz von Antigentests beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zu informieren. Etwa 50 Produkte seien inzwischen aufgelistet. Zurzeit seien keine Tests für den Heimgebrauch darunter, ergänzt Dr. Müller. Die beiden Laborärzte verweisen noch darauf, dass Antikörpertests in der Akutsymptomatik bisher keine große Rolle spielen, deswegen seien sie auch in der Menge der Anforderung nicht relevant.
Die ALM-Spitze drängt seit Langem darauf, nur symptomatische Personen und vulnerable Gruppen auf den Coronavirus zu testen, um Kapazitäten nicht übermäßig auszulasten. Falsch sei es, so Dr. Müller, „jeden Tag alle möglichen Personen zu testen, die glauben, sie könnten betroffen sein“. Am Tag nach dem Test sehe die Situation schon wieder anders aus, weil Getestete ggf. weitere Kontakte hätten.
Dass Bundesgesundheitsminister Jens Spahn mit dem dritten Bevölkerungsschutzgesetz plant, bei patientennahen Schnelltests den Arztvorbehalt aufzuheben, sodass auch Zahn- und Tierärzte per Labordiagnostik den Erregernachweis erbringen dürfen, missfällt den Laborvertretern. Dies sei „nicht sachgerecht und nicht notwendig“. Vordringlich sollten die Anstrengungen zur Eindämmung der Pandemie vereinheitlicht werden. Auf Länderebene werde leider die Strategie der breiten, niedrigschwelligen, anlassbezogenen Testung unterlaufen und teils durch Sonderregelungen konterkariert.
Medical-Tribune-Bericht