Dank Suchmaschine früh entdeckt
„Na, muss ich mir Sorgen machen?“ Dass meine Patientin zu ungewohnter Zeit von ihrem studierenden Sohn aus Hannover angerufen wurde, machte sie skeptisch. „Nein, das brauchst du nicht“, lautete die beruhigende Antwort. „Ich habe da nur eine seltsame Sache.“
Mit diesem zweiten Satz war die Beruhigung schlagartig vorbei und wandelte sich in tiefe Sorge, als der Sohn weiter berichtete. „Ich habe ein Bier getrunken, kurz danach hat mir mein Arm unglaublich weh getan. Das strahlte in die ganze Brust aus, hielt vielleicht eine Stunde an und war dann vorbei. Ich hab’s dann nochmal versucht, aber da ging das schon nach zwei Schlucken los.“ Beim Googeln seiner Symptome sei er dann auf die Diagnose „Morbus Hodgkin“ gestoßen.
Seine Mutter war geschockt: „Ist das nicht Lymphdrüsenkrebs?“, fragte sie. „Hast Du denn dicke Lymphknoten? Fühlst du dich nicht gut?“ Er verneinte, keine geschwollenen Lymphknoten, und ja, er sei ein bisschen müde, aber auch im Stress derzeit. „Aber meine Hände und Füße jucken“, ergänzte er noch, „vor allem nachts halte ich es kaum aus. Auch das soll bei M. Hodgkin vorkommen.“ Beide waren sich schnell einig, dass er sich sicherheitshalber bei seiner Hausärztin vorstellen sollte.
Als die Mutter mit ihren Sorgen zu mir kam, erinnerte ich mich, dass ich den „Alkoholschmerz“ mal als Frühsymptom des M. Hodgkin gelernt hatte, musste aber noch googeln, ob er bei anderen Krankheiten ebenfalls auftritt. Leider fand ich nichts dazu und murmelte, dass es sich hoffentlich um ein orthopädisches Problem handele (unlogisch, ich weiß!). Dennoch müsse die Sache dringend abgeklärt werden. „Ich habe ihm gesagt, er solle mal Cetirizin gegen den Juckreiz versuchen“, erzählte die Mutter abschließend: „Das hat super geholfen, ist vielleicht doch nur eine Allergie.“
Das hoffte ich mit ihr, aber auch ich war etwas in Sorge. Nach einigen Tagen meldete sie sich nur kurz telefonisch und war überglücklich: „Mein Sohn ist völlig gesund“, berichtete sie. Sein Blutbild war fast in Ordnung. Später erfuhr ich, dass die alkalische Phosphatase und das Hb etwas niedrig waren, aber alles andere im Normbereich – auch CRP und Differenzialblutbild. Das Röntgenbild des Thorax schien perfekt. „Ich freu mich für Sie beide“, sagte ich herzlich, aber ein Brummeln des Zweifels blieb in mir. Woher kam der Alkoholschmerz?
Es dauerte nicht lange, bis sich das aufklärte. Der junge Mann hatte nur ein paar Tage nach dem unauffälligen Röntgenbild einen vergrößerten Lymphknoten am Hals ertastet. Obwohl verschieblich und etwas druckdolent ließ seine Ärztin ihn biopsieren. Tatsächlich konnte man einen M. Hodgkin histologisch sichern. Und im Thorax-CT fand man 8 cm dicke Lymphome – keine Woche nach dem unauffälligen Röntgenbild! Ich war erschüttert.
In diesem Fall hat sich Google als wirklicher Segen erwiesen. Ohne die Suchmaschine wäre dieser Alkoholschmerz vielleicht nie als Alarmzeichen erkannt worden. Weniger als 5 % der Betroffenen entwickeln ihn, aber er scheint – erst Recht zusammen mit unklarem Juckreiz – ein verlässliches Frühwarnsymptom des Hodgkin zu sein. Zudem habe ich gelernt, dass maligne Lymphome keineswegs indolent oder verbacken sein müssen, und dass ein normales Thorax-Röntgen und fehlende Entzündungszeichen keine Entwarnung geben.
Insgesamt lässt mich diese Geschichte etwas ratlos zurück. Wie oft tauchen bei mir junge, besorgte Menschen mit einzelnen, entzündlich verdickten Lymphknoten am Hals auf. Lasse ich bei normalem Laborbefund zu schnell locker? Bisher habe ich noch nichts verschleppt, aber vielleicht nur Glück gehabt. Ich muss das mal überdenken. Bis dahin gehen meine guten Wünsche nach Hannover.