Bundesverfassungsgericht Urinkontrollen: Blick aufs Genital verletzt Persönlichkeitsrecht
Der eine mehrjährige Strafe verbüßende Beschwerdeführer war von der Abteilungsleitung der Haftanstalt zum regelmäßigen allgemeinen Drogenscreening verpflichtet worden. Um Manipulationen oder Täuschungshandlungen, wie die Verwendung von Fremdurin, möglichst auszuschließen, erfolgte die Urinabgaben unter Aufsicht. Vier Urinkontrollen wurden durchgeführt, bei denen der anwesende Justizvollzugsbedienstete während der Abgabe der Urinprobe jeweils einen freien Blick auf das entkleidete Genital des Beschwerdeführers hatte.
Dann reichte es dem Mann und er begehrte Anfang Januar 2021 eine gerichtliche Entscheidung dazu, ob das die durchgeführten Urinabgaben unter Sichtkontrolle rechtswidrig waren. Er forderte zugleich, dass zukünftig Feststellungen zum Suchtmittelkonsum durch eine Blutentnahme aus der Fingerbeere erfolgen sollten. Der Beschwerdeführer argumentierte, dass bei den vier erfolgten Urinproben innerhalb von gut vier Wochen sein Schamgefühl erheblich verletzt und massiv in seine Intimsphäre eingegriffen worden sei.
Verletzung des Persönlichkeitsrechts
Das zuständige Landgericht wies den ersten Antrag als unzulässig ab und den zweiten Antrag als unbegründet. Die Urinkontrollen seien rechtmäßig erfolgt, hieß es. Die Maßnahme berühre nicht nur die gesundheitlichen Belange eines Gefangenen und seine Resozialisierung, sondern auch die Sicherheit des Strafvollzugs. Aus § 65 StVollzG Nordrhein-Westfalen ergebe sich außerdem keine Pflicht, eine andere Form der Kontrolle anzubieten. Gegen die Entscheidung versuchte der Beschwerdeführers vorzugehen, doch auch das Oberlandesgericht sah die Beschwerde asls unzulässig an.
„Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet“, stellt nun das BVerfG klar. Das Persönlichkeitsrecht wird als verletzt angesehen. Die Richter sehen es auch als fraglich an, ob die von der Justizvollzugsanstalt auf § 65 StVollzG NRW gestützte Urinkontrolle ohne konkreten Verdacht des Drogenmissbrauchs des betroffenen Gefangenen angeordnet werden konnte.
Die Punktion der Fingerbeere zur Abnahme einer geringen Menge von Kapillarblut wird von den Karlsruher Richtern als möglich angesehen, sofern der Gefangene einwilligt. Das Landgericht habe nicht beachtet, dass § 65 Abs. 1 Satz 2 StVollzG NRW im September 2017 dahingehend geändert wurde, heißt es. Der die Intimsphäre berührende Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht bei beaufsichtigten, mit Entkleidung verbundenen Urinkontrollen wiege in der Regel deutlich schwerer als der mit einer (einverständlichen) Punktion der Fingerbeere verbundene Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Gefangenen.
Quelle: BVerfG 2 BvR 1630/21, Beschluss vom 10. August 2022