Ein Patient, ein DMP

Kolumnen Autor: Dr. Frauke Gehring

Die Antibürokratisierungs-kommission hat versagt. Die Antibürokratisierungs-kommission hat versagt. © fotolia/Thomas Bethge; MT

Das Thema in unserer Praxiskolumne: Was machen wir denn mit denen, die gleich mehrere chronische Erkrankungen haben?

Gemocht habe ich sie nie, die DMPs, aber dann doch knurrig akzeptiert, weil man durch die regelmäßige höfliche Anfrage, wann denn das Rauchen nun eingestellt wird, manchen Patienten so nervt, dass er tatsächlich aufhört.

Auch frage ich gern meine Diabetiker, wie es denn mit der zuckerreduzierten Kost so klappt. „Mir hat noch nie jemand gesagt, dass ich Diät halten muss!“, höre ich dann schon mal, oder: „Ich wusste gar nicht, dass ich Diabetikerin bin. Ich muss doch keine Medikamente nehmen!“ Wie praktisch, wenn man dann mit einem unterschriebenen Wisch wedeln kann, auf dem das Diabetikertum vermerkt ist. Auch lassen sich trefflich die Notizen zitieren, die man während des Einschreibungsgespräches zur Diät gemacht hat.

Was das magere Honorar für dieses löbliche Tun angeht, war ich über das Stadium der Aufregung schon eine Weile hinaus – bis meine Mitarbeiterin quasi im Vorbeigehen bemerkte: „Wussten Sie eigentlich, dass wir nur ein DMP im Quartal bezahlt bekommen?“ „Aber wir haben doch viele herzkranke Diabetiker oder COPD-Patienten mit KHK!“, protestierte ich lahm. „Von denen ganz zu schweigen, die gleich drei Erkrankungen haben! Was machen wir denn mit denen?“

Schnell war es uns klar, dass fast alle Diabetiker vierteljährliche Betreuung brauchen, und es zudem eine zu komplizierte logistische Leistung sein würde, jedes zweite oder gar dritte Quartal einen neuen DMP-Termin auszumachen. Also entschied ich rigoros: „Ein Patient, ein DMP“. Nach Bedarf würde ich die für die Begleiterkrankungen notwendigen Untersuchungen weiter machen, aber keine pinkfarbenen Zettelchen mehr dafür ausfüllen. Kein Geld, keine Leistung!

Beim nächsten Öffnen des Diabetes-DMP- Formulares fragte ich mich kurzfristig, ob ich plötzlich schielen und die anzukreuzenden Kästchen doppelt sehen würde. Irgendwie schienen sie sich vermehrt zu haben. Und so war es dann auch. Hurra, noch mehr Kreuze und noch mehr Felder, die man zunächst mal übersieht und dann nach dem Druck der Taste „Plausibilität“ alle noch ausfüllen darf! Hier hatte die Antibürokratisierungskommission (gibt es die eigentlich?) auf ganzer Linie versagt. Meine Entscheidung fiel schnell: Diabetes DMPs nur noch in Ausnahmefällen!

„Ich werde Sie nur noch zum KHK-DMP einladen“, erklärte ich dem nächsten herzkranken Diabetiker. „Natürlich werden wir weiterhin HbA1c- und Nierenwerte überprüfen, und gerne schaue ich mir auch Ihre Füße regelmäßig an“. Der Patient war nach kurzer Erklärung schnell davon überzeugt, dass ich nicht vorhatte, in Zukunft schlampig über seine anderen Erkrankungen hinwegzugehen. „So machen wir das“, sagte er. „Ich würde auch nicht für umsonst arbeiten wollen!“. Ich beließ es bei einem leisen Schmunzeln, hatte ich doch nicht vor, an diesem schönen Tag in eine Diskussion über Flatrate-Versorgung einzusteigen.

„Huch, das wird die Krankenkasse aber gar nicht mögen!“, sorgte sich eine ältere Dame, die ich nur noch im DMP-COPD „versorge“ und dank ihres uneingeschränkten Zigarettenkonsums mit meinem ständigen „Sie sollten wirklich nichtmehr rauchen“ nerve. Ich bin sicher, sie wäre lieber im Diabetes-DMP verblieben, aber sie wusste, dass ein HbA1c von 6,3 mg% ein äußerst schwaches Argument dafür war. Sie fürchtete sich vor den Anrufen der Kassenmitarbeiter, die sie zum Diabetes-DMP drängen würden. Ich hatte großes Verständnis für diese Sorge, immerhin teilte ich sie. „Sagen Sie, dass Sie sich diese Anrufe verbitten“, schlug ich ihr vor. „Fruchtet das nicht, drohen Sie mit Kassenwechsel“. Die Dame straffte sich in ihrem Sessel, und in ihren Augen glitzerte Widerspruchsgeist: „Das mache ich!“, versprach sie. Wie glücklich bin ich doch, so verständnisvolle Patientinnen und Patienten zu haben!