Kindergesundheit fördern Jedes sechste Kind schleppt Corona-Kilos mit sich herum
Wie haben sich zwei Jahre Corona-Pandemie mit Maßnahmen wie Lockdown und Schulschließungen auf das Gesundheitsverhalten, vor allem auf Ernährung, Bewegung und Körpergewicht von Kindern und Jugendlichen ausgewirkt? Hat sich das Gesundheitsverhalten, das man durch die Maßnahmen gegen die Pandemie beobachtete, verfestigt? Welches Alter bringen die jungen Menschen mit, die besonders betroffen sind, welchen sozioökonomischen Gruppen gehören sie an? Diese Ausgangsfragen standen im Fokus der Forsa-Studie, für die im März und April 2022 insgesamt 1.004 Eltern mit Kindern im Alter von 3–17 Jahren befragt wurden.
Dass sich die gegen die Pandemie ergriffenen Maßnahmen wie Lockdown oder Schulschließungen stark auf die Kindergesundheit auswirkt, zeigen die weiteren Ergebnisse der Eltern-Umfrage: Fast die Hälfte der jungen Menschen bewegt sich weniger als zuvor (44 % weniger, nur 7 % bewegen sich mehr). Dieser Bewegungsrückgang ist vor allem bei den 10–17-Jährigen erkennbar. Bei 33 % der Kinder hat sich die körperlich-sportliche Fitness verschlechtert. Etwa ein Viertel der Kinder und Jugendlichen isst seit der Corona-Krise mehr Süßwaren wie Schokolade oder Kekse. Bei den 10–12-Jährigen bringt jedes dritte Kind seit Pandemiebeginn mehr Kilos auf die Waage. Und von jenen Kindern, die schon vorher übergewichtig waren, ist sogar jedes zweite (noch) dicker geworden.
Die wichtigsten Ergebnisse
- 16 Prozent der Kinder und Jugendlichen sind dicker geworden, bei Kindern im Alter von 10 bis 12 Jahren sind es sogar 32 Prozent.
- Kinder und Jugendliche aus einkommensschwachen Familien sind doppelt so häufig von einer ungesunden Gewichtszunahme betroffen wie Kinder und Jugendliche aus einkommensstarken Familien (23 % zu 12 %).
- 44 Prozent der Kinder und Jugendlichen bewegen sich weniger als vor der Pandemie, bei Kindern im Alter von 10 bis 12 Jahren sind es sogar 57 Prozent.
- Bei 33 Prozent der Kinder und Jugendlichen hat sich die körperlich-sportliche Fitness verschlechtert, bei Kindern im Alter von 10 bis 12 Jahren sind es sogar 48 Prozent.
- Bei 43 Prozent der Kinder und Jugendlichen belastet die Pandemie die seelische Stabilität „mittel“ oder „stark“.
- 70 Prozent der Kinder und Jugendlichen haben die Mediennutzung gesteigert.
- 27 Prozent der Kinder und Jugendlichen greifen häufiger zu Süßwaren als zuvor.
- 34 Prozent der Familien essen häufiger gemeinsam als zuvor.
Quelle: DAG, EKFZ
Auch die gesundheitliche Ungleichheit sticht ins Auge, die sich durch die Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie noch weiter verschärft hat: Bei Kindern und Jugendlichen aus einkommensschwachen Familien kommen Corona-Kilos sogar doppelt so häufig vor wie etwa bei jungen Menschen aus dem familiären Umfeld von Gutverdienern.
Noch nie dagewesene Gewichtszunahme!
„Eine Gewichtszunahme in dem Ausmaß wie seit Beginn der Pandemie haben wir zuvor noch nie gesehen“, betont Dr. Susann Weihrauch-Blüher, Oberärztin an der Universitätskinderklinik Halle/Saale und Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter (AGA) der DAG. „Übergewicht kann schon bei Kindern und Jugendlichen zu Bluthochdruck, einer Fettleber oder Diabetes führen.“ 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen waren schon vor der Corona-Pandemie dick, sechs Prozent sogar stark übergewichtig.
„Wie viele Studien, Umfragen und Fakten braucht es noch, damit die Politik gegensteuert und die Hersteller fettiger, süßer und salziger Produkte endlich in die Pflicht nimmt?“, kritisiert DDG Geschäftsführerin Barbara Bitzer. Eine Herstellerabgabe auf stark zuckerhaltige Getränke und ein Werbeverbot für ungesunde Produkte, die sich an Kinder richten, seien längst überfällig. Bei gesunden Lebensmitteln sei hingegen eine komplette Befreiung von der Mehrwertsteuer gefordert. Einen deutlichen Appell richtet sie an die Bundesregierung, die endlich „schnelle und nachhaltige Entscheidungen“ treffen solle, „von denen auch diese Generation noch profitiert.“
Laut Prof. Dr. Hans Hauner, Direktor des EKFZ für Ernährungsmedizin, müssten die Folgen der Pandemie aufgefangen werden, „sonst werden die ‚Corona-Kilos‘ zum Bumerang für die Gesundheit einer ganzen Generation“ – besonders für nicht-übertragbare Krankheiten wie Adipositas und Diabetes. Geeignete Therapie-Angebote, die alle Gruppen gleichermaßen erreichten, müssten nun dringend verstärkt werden. Oliver Huizinga, Politischer Geschäftsführer der DAG, ist vor allem darüber besorgt, dass „die Corona-Krise und die hohe Inflation insbesondere Familien mit wenig Einkommen belasten, denn ausgerechnet Grundnahrungsmittel sind in den letzten Monaten erheblich teurer geworden“.
Was bringt „Marshall-Plan für die Kindergesundheit“?
Die DAG und das EKFZ für Ernährungsmedizin fordern nun einen „Marshall-Plan für die Kindergesundheit“. Als Sofortmaßnahmen empfehlen die Expert*innen nicht nur, Zuckergetränke zu besteuern und Werbeschranken für ungesunde Lebensmittel einzuführen, sondern auch die erwähnte Stärkung der bislang „chronisch unterfinanzierten” Adipositas-Therapie.
Quelle: Online-Pressekonferenz von DAG und EKFZ zur Eltern-Umfrage