Krebsmedikamente Fachgesellschaften warnen wegen größerer Lieferprobleme

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Auch die Chemotherapie ist von Arzneimittelengpässen betroffen.
Auch die Chemotherapie ist von Arzneimittelengpässen betroffen. © RFBSIP – stock.adobe.com

An vielen Stellen haben Expert:innen schon auf Arzneimittellieferengpässe und deren Auswirkungen auf die onkologische Versorgung aufmerksam gemacht. Nun betonen sie mit Nachdruck die Dringlichkeit politischen Handelns. Das bereits Getane reiche nicht.

„Die medikamentöse Krebstherapie hat in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht; vor allem bei sehr ausgedehnten Erkrankungen sehen wir teilweise spektakuläre Ergebnisse“, sagt Prof. Dr. Hermann Einsele, Geschäftsführender Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie (DGHO). Bei einigen Erkrankungen könne der Krankheitsverlauf so gut beherrscht werden, dass die Patient:innen eine normale Lebenserwartung hätten. Dies schaffe allerdings auch eine hohe Abhängigkeit von einer stabilen Versorgung mit entsprechenden Medikamenten.

Diese erforderliche Verfügbarkeit ist jedoch zunehmend durch Lieferengpässe bedroht. Zu sehen sind diese nicht bei den innovativen teuren Onkologika, sondern bei Medikamenten, die schon seit vielen Jahren eingesetzt werden und heute als Generika auf dem Markt verfügbar sind. Betroffen von Lieferproblemen war zuletzt Albumin-gebundenes Paclitaxel (nab-Paclitaxel), welches zum Einsatz kommt bei metastasierten Lungen-, Mamma- und Pankreaskarzinom. Eingeschränkt und kontigentiert verfügbar ist auch seit Längerem 5-Fluorouracil (5-FU), welches als Einzeltherapie bei Tumoren und als Kombinationspräparat eingesetzt wird. Einen Lieferengpass gibt es auch für das Chemotherapeutikum Epirubicin, welches am häufigsten beim Mammakarzinom eingesetzt wird. 

Erste Hinweise auf Lieferengpässe bei Tamoxifen gab es bereits 2021, vor allem bei der 20mg-Tablette. Im vergangenen Jahr vergrößerte sich das Lieferproblem noch, bis das Unternehmen Hexal durch eine Sonderproduktion Abhilfe schaffen konnte. Die Genehmigung basierte auf einer Entscheidung des Beirats für Liefer- und Versorgungsengpässe beim Bundesinstitut für Arzneimittel- und Medizinprodukte (BfArM).

„Engpässe wie bei Tamoxifen dürfen sich nicht wiederholen“, mahnt Prof. Dr. Matthias Beckmann, Leitlinienbeauftragter der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGG). Brustkrebspatientinnen sollten Tamoxifen eigentlich über fünf Jahre nehmen, so der Arzt, „und dann unterbrechen wir wegen Lieferengpass für drei Monate, sechs Monate, neun Monate und versuchen, eine Alternative zu bekommen“. Es gebe auch keine Alternative für dieses beste und weltweit am häufigsten eingesetzte Medikament bei Frauen vor den Wechseljahren. Aus den nicht oder nur teilweise durchgeführten Therapien resultiere ggf. eine Verschlechterung der Prognose mit reduziertem Überleben. 

Therapieabbrüche und Stopps von Studien befürchtet

In der Postmenopause sei Tamoxifen ebenfalls wesentlich in der Therapie, hier gebe es aber gute, wenn auch nicht immer gleichwertige Alternativen. Ein Therapiewechsel könne allerdings Therapieabbrüche verursachen, u.a. wegen höherer Nebenwirkungen. Frauen seien verunsichert, Vertrauen schwinde. Das alles führe auch zu Konflikten zwischen Ärzt:innen und Patientinnen, so Prof. Beckmann. Kritisch sieht er zudem Auswirkungen auf Studien, die bei Mangel an Grundsubstanzen und Kombinationspartnern abgebrochen werden müssten. „Wir werden einen mangelnden Fortschritt bekommen.“

„Versorgungsengpässe sind nicht akzeptabel, wenn Medikamente für die Versorgung unverzichtbar sind“, bekräftigt Prof. Dr. Thomas ­Seufferlein, Mitglied im Präsidium der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG). Er verweist auf Lieferlücken bei sog. Support Level Medikamenten, welche die Durchführung einer medikamentösen Krebstherapie erst ermöglichen oder verbessern. Zu diesen zählen u.a. Antibiotika wie Cotrimoxazol, Harnsäuresenker und Immunglobuline, aber auch calciumfolinathaltige Arzneimittel. 

Calciumfolinat bspw. hilft, die Giftigkeit und Wirkung von Folsäure-Antagonisten wie Methotrexat zu verringern und einer möglichen Überdosierung bei Erwachsenen und Kindern entgegenzuwirken. Und es dient in Kombination mit 5-FU in der zytotoxischen Therapie. Für die Abgabe calciumfolinat­haltiger Medikamente wurde wegen Lieferengpass im November vom BfArM-Beirat eine Einschränkung der Distributionswege und eine kontingentierte Abgabe angeordnet.

Es wurden laut Prof. Seufferlein auch Überhänge von calciumfolinat­haltigen Arzneimitteln im Ausland identifiziert und es habe Ausnahmegenehmigungen gegeben, um diese in Deutschland in Verkehr zu bringen. Das Lieferengpass-Monitoring habe jedoch gezeigt, dass die getroffenen Maßnahmen noch keine vollständige Kompensation und Stabilisierung der Versorgung hätten erreichen können.

Verursacht werden Lieferabrisse oder -einschränkungen durch verschiedene Auslöser, etwa einen Stopp der Produktion aufgrund von Qualitätsdefiziten oder niedrige Erstattungspreise für den Hersteller. Die Verlagerung der Produktion und Wirkstofflieferung aus Kostengründen nach Asien und eine Konzentration im Pharmabereich zeigt sich dabei besonders als Achillesferse einer kontinuierlichen Versorgung. Fällt ein Hersteller aus, hat das Auswirkungen auf Europa und auch auf Deutschland. 

Darüber hinaus wirkt schon die Meldung möglicher Lieferengpässe kontraproduktiv, wie Prof. Dr. Bernhard Wörmann, Medizinischer Leiter der DGHO berichtet. Die Ankündigung eines Lieferengpasses zu Calciumfolinat Anfang Oktober 2022 habe zu einem Anstieg um mehr als das Doppelte der sonst üblichen Einkäufe durch die Apotheken geführt. Apotheken und Einkaufsgemeinschaften hätten sich vorsorglich durch „Hamsterkäufe“ eingedeckt. Regional seien diese Einkäufe sehr unterschiedlich verteilt gewesen.

Welche Maßnahmen können Lieferengpässe vermeiden?

Aus Sicht von Prof. Wörmann ist der Schutz unverzichtbarer Krebs- und Supportivmedikamente dringend erforderlich. Er lobt bereits erfolgte gesetzliche Maßnahmen wie das Register zu Lieferengpässen beim BfArM mit Meldepflicht der pharmazeutischen Unternehmer, den erleichterten Import aus dem Ausland bei Lieferengpässen unverzichtbarer Arzneimittel, das behördliche Risikomanagement durch den BfArM-Beirat sowie das Einbeziehen der Expertise der Fachgesellschaften, z.B. hinsichtlich einer Alternativmedikation.

Weitere notwendige Maßnahmen aber seien:

  • Frühzeitige Information über drohende Lieferengpässe seitens der pharmazeutischen Unternehmer, gegebenenfalls Umsetzung von Sanktio­nen
  • Vorratshaltung für 3 bis 6 Monate und Lieferpflichten für Krebsmedimente und für unterstützende Arzneimittel, die in Deutschland gemäß der Leitlinien unverzichtbar sind
  • Solidarität der Einkaufsgemeinschaften
  • Sicherung der Versorgung von Arzneimitteln für seltene Krebserkrankungen
  • Aufbau von Produktionsstätten und langfristige Sicherung der Lieferketten in Europa.

BfArM-Präsident Prof. Dr. Karl Broich bilanziert die Arbeit des BfArM-Beirats als Erfolgsgeschichte, u.a. weil alle wesentlichen Akteur:innen zur Bewertung von Lieferengpässen und Abstimmung von Maßnahmen zur Abmilderung derselben beteiligt seien. Die Maßnahmen würden auch, sofern sie Ärzte- und Apothekerschaft betreffen, durch einstimmige Beschlüsse verabschiedet. „Das hat sich bewährt, auch wenn es mit einem großen Aufwand verbunden ist“, so Prof. Broich. Mittels Datenauswertung durch künstliche Intelligenz will das BfArM außerdem zur Besserung der Versorgungs­situation beitragen. Es gehe darum, Lieferschwachstellen zu finden und Ausfallszenarien zu simulieren. Man wolle von der reaktiven zur präventiven Arbeit weg und damit „vor die Welle“ kommen, erklärt ­Broich. 

Nachgefragt

Minister Lauterbach will Lieferengpässe bei Kinderarzneimitteln bekämpfen. Kinderarzneimittel erkennt man aber oft nicht als solche, weil sie keine entsprechende Zulassung haben. Gibt es in der Onkologie Arzneimittel, die bei Kindern off label eingesetzt werden? Wie lässt sich sicherstellen, dass diese Arzneimittel als „versorgungsnotwendig“ erkannt werden? 

Prof. Wörmann: Das ist eine ganz kritische Frage und ich würde sie sogar ausdehnen über die Kinder hinaus: Es geht um Präparate, die wir regelhaft einsetzen, die keine Zulassung haben. Das betrifft die Pädiatrie, aber auch einen Teil der onkologischen Zytostatika, die wir einsetzen. 

Wir sind der Überzeugung, dass die Unverzichtbarkeit der Arzneimittel in den medizinischen Leitlinien definiert werden soll. Und wenn die Leitlinien sagen als Empfehlung, dies soll dort eingesetzt werden, dann muss das geschützt werden und unverzichtbar sein, auch unabhängig von der Zulassung. Und noch einmal ganz deutlich: Das soll auch die supportive Therapie miteinbeziehen. 

Wäre es nicht hilfreich, als ein Teil der Problemlösung den Patentschutz zu verlängern? 

Prof. Broich: Der Unterlagenpatentschutz für die neueren Arzneimittel läuft schon recht lange und in dem Bereich haben wir wenig Liefer- und Versorgungsengpässe. Was wir machen müssen ist, dass wir wirklich die Diversifikation in den Lieferketten hinkriegen, dass eben gerade diese vielen Generikapräparate, die den Großteil der Lieferengpässe ausmachen, in eine bessere Situation kommen. 

Es gibt auch Überlegungen, Hersteller bei sehr kleinen Populationen im Markt zu unterstützen, damit die Produkte im Verkehr bleiben. Hier versuchen wir – und das muss sich in der Zukunft verstärken –, zusätzliche Incentives zu geben.

Mit Hoffnung auf Verbesserungen blicken der BfArM-Chef und die Hämato- und Onkolog:innen auch auf das geplante Gesetz Vermeidung von Lieferengpässen, welches laut Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach seit Wochen in Arbeit ist und 2023 kommen soll. Weniger Preisdruck bei Rabatten, Einkauf parallel in EU und außerhalb, monatelange Reserven sind laut Minister das Ziel.„Wir hoffen natürlich, dass die entsprechend genannten Maßnahmen dann auch relativ zeitnah umgesetzt werden“, kommentiert Prof. Dr. Andreas ­Hochhaus, Vorsitzender der DGHO, die politischen Pläne. 

Quelle: Pressekonferenz vonDGHO, DGG, DKG