Haltung bewahren, mutig sein!

Kolumnen Autor: Dr. Cornelia Tauber-Bachmann

„Wir riskieren doch gar nicht so viel, wenn wir Haltung zeigen.“ „Wir riskieren doch gar nicht so viel, wenn wir Haltung zeigen.“ © iStock/SIphotography; MT

Immer weniger Menschen setzen sich für das ein, was ihnen wichtig ist und was sie eigentlich für sinnvoll halten. Dabei kann es sich lohnen, Haltung zu wahren – mutige Menschen weltweit machen es vor.

Vor ein paar Tagen besuchte ich eine alte Freundin. Bei einer Tasse Kaffee und einem köstlichen Apfelkuchen besprachen wir vieles, was uns bewegt. Sie berichtete von ihren Sorgen über das, was sich momentan in unserer Gesellschaft ändert, was in der Politik passiert und wie es mit unserem „alten Eu­ropa“ und der Welt weitergehen wird. Ganz besonders beklagte sich meine Freundin darüber, dass viele Menschen sich nur mehr „hinter vorgehaltener Hand“ oder lieber gar nicht über Dinge beschweren, die sie stören und die sie gerne ändern würden.

Noch weniger würden sie sich einsetzen für das, was ihnen wichtig ist und was sie eigentlich für sinnvoll und gut halten. Sie beobachtet die zunehmende Angst, sich zu exponieren und die eigene vielleicht vom Mainstream abweichende Meinung zu äußern. Ein fataler Zug zur Konformität, sicher auch begünstigt durch die neuen Medien, die sozialen Netzwerke und die Angst, nicht (mehr) dazuzugehören. Das passt zu einigen meiner Be­obachtungen. Es scheint mir, dass es bei vielen Menschen – auch Ärzten – eine Scheu gibt, sich zu zeigen, sich dadurch angreifbar und verletzbar zu machen.

Sei es, gegenüber übermäßig fordernden Patienten klare Kante zu zeigen, sei es die Leitung einer Organisation zu übernehmen oder gegen den Vorstand aufzubegehren, wenn es nicht so läuft, wie man es für richtig befindet. Lieber jammern und im Untergrund murren, als aufstehen und selber handeln.

So erschreckend solch ein Verhalten in einer freiheitlichen Gesellschaft ist – ich sehe glücklicherweise auch anderes. In Südafrika hat es zum Beispiel der Journalist Branko Brkic geschafft, mit seinem Online-Magazin „Daily Mavericks“ einen riesigen Korruptionsskandal aufzudecken, der den damaligen Präsidenten Zuma zum Rücktritt zwang und seine „Geschäftspartner“ ins Ausland fliehen ließ. Mittlerweile hat Herr Brkic 70 Reporter, die mitarbeiten. Sie alle werden täglich bedroht, direkt oder indirekt. In Südafrika, wo Gewalt und Mord an der Tagesordnung sind.

Auch die Initiatoren von „Fridays for Future“ haben Haltung und Mut bewiesen. Ich meine nicht die jetzige Massenbewegung, sondern die Ersten, die sich neben Greta Thunberg trauten, für ihre Überzeugung auf die Straße zu gehen, trotz geringer Aussicht auf Gehör.

In meiner lokalen Welt erlebe ich ebenfalls mutige Menschen und manche werden sogar ausgezeichnet. Zum Beispiel mit dem Preis „Die mutige Löwin“ des Deutschen Ärztinnenbundes. Ich denke da an die Frauenbeauftragte der Universität Ulm, die den ersten Lehrstuhl für Allgemeinchirurgie an der Universität für eine Frau durchsetzte. Die ehrenwerten Professoren wollten lieber eine neue Ausschreibung starten, als eine Frau berufen! Und ich denke an die Amtstierärztin, die BSE-Verdachtsfälle am Schlachthof entdeckte und die man nach dem Publikmachen der Infektion fristlos entließ.

Mit dem Aschaffenburger Mutig-Preis wurde u.a. ein Richter ausgezeichnet, der dafür sorgte, dass ehemalige Ghetto-Zwangsarbeiter eine gerechte Rente erhalten. Auch ein italienischer Priester bekam für seinen Kampf gegen die Mafia diese Ehrung. Nicht zu vergessen zwei Bankangestellte, die verhindert haben, dass eine alte Dame per Enkeltrick um ihr Geld gebracht wurde.

Was bedeutet das für uns alle? Vielleicht müssen wir stärker wahrnehmen, wie fragil unsere freiheitliche Gesellschaft ist, und dass wir uns täglich bemühen müssen, uns diese Freiheit zu bewahren. Wir riskieren doch gar nicht so viel, wenn wir Haltung zeigen. Auch wenn die Repressalien, unter denen manche der Preisträger leiden mussten, schon sehr belastend und einschränkend sind. Wie sagte der diesjährige Preisträger des Mutig-Preises so schön? „Man will sich ja auch am nächsten Tag noch im Spiegel anschauen können.“

Vielleicht schaffen wir es durch solche Vorbilder, uns nicht jammernd und klagend der Mehrheitsmeinung anzuschließen, gegenüber übergriffigen Ministern und Krankenkassen, den KVen und nicht zuletzt gegenüber dreisten Patienten. Nur Mut!