Auch meine Geduld hat mal ein Ende

Kolumnen Autor: Dr. Cornelia Tauber-Bachmann

Ausrasten kann auch die Seele reinigen. Ausrasten kann auch die Seele reinigen. © Aaron Amat – stock.adobe.com; MT

Nörgelnde Patienten, die sich nicht an die empfohlene Therapie halten? Manchmal hilft da nur ein Wutausbruch.

Ich glaube, dass ich gegenüber Angestellten und Patienten ein recht ausgeglichener und meist freundlicher Mensch bin. Na ja, vielleicht sollten Sie nicht unbedingt ein Mitglied meiner näheren Familie befragen, aber im Großen und Ganzen bin ich doch eher zurückhaltend und ruhig. Dachte ich jedenfalls bis vor Kurzem.

Da bescherte mir der Urlaub eines Kollegen eine Patientin, die seit Wochen unter heftigen krampfartigen Bauchschmerzen litt. Übelkeit und Durchfall beklagte sie ebenfalls. Und Gewichtsverlust. Der Kollege hatte völlig korrekt das Beschwerdebild mit Labor, Urinstatus, Stuhluntersuchung, Ultraschall, Endoskopie und sogar mit CT und MRT abgeklärt. Ohne irgendeinen pathologischen Befund! Die beteiligten Kollegen und Kolleginnen einigten sich auf die Diagnose „Reizdarm“.

Nun saß die etwa 70-Jährige demonstrativ klagsam in Begleitung ihres geduldig, aber desinteressiert daneben sitzenden Ehemanns, bei mir im Sprechzimmer. Sie hatte mehrere Besuche in den nahegelegenen Klinikambulanzen hinter sich; Pathologika konnten auch dort nicht gefunden werden. Selbstverständlich verlangte sie sehr fordernd von mir eine erneute Laboruntersuchung und eine Sonographie.

Kurz gesagt: Auch bei mir ergab sich weder eine Nahrungsmittelallergie noch eine Histaminintoleranz noch ein bisher unbekannter Ultraschallbefund. Eine Angstsymptomatik mit somatoformer Schmerzstörung, dache ich also und bestellte die Frau zu einem längeren Gespräch ein. Leider stellte sich heraus, dass die Patientin zur Introspektion überhaupt nicht fähig und auch gar nicht bereit war, seelische Ursachen in Erwägung zu ziehen. Also auch hier keine Chance zur Therapie. Die verordneten Psychopharmaka wollte sie aber doch nehmen.

Ab da erschien die Patientin zu jedem Termin mit einer neuen „Beschwerdelatte“, die angeblich die neu verordneten Medikamente verursacht hätten: Schlafstörungen, Schwindel, zu starke Müdigkeit, Nervosität, Verstopfung, Durchfall, komisch aussehender Stuhl. Und jedesmal erklärte sie mir ausführlich, warum sie die Medikamente nicht in der von mir angegebenen Dosis und Häufigkeit nehmen konnte. Da bin ich zum ersten Mal in 25 Praxis­jahren ausgerastet.

Ich fuhr sie heftig an, dass ich mich wirklich um sie bemühen würde, dass sie aber nie das tun würde, was ich ihr empfehle. Dass so keine Therapie möglich sei und ich es jetzt satt hätte, mir ständig irgendwelche Ausreden anzuhören. Sie solle die Medikamente endlich so nehmen, wie ich es ihr verordnet hätte. Mit ihrer Methode würde sie nie gesund werden. In der Praxis wackelten die Wände, meine MFA verzog sich hinter die Anmeldung und wirkte irgendwie verschreckt. Im Wartezimmer legten die Patienten die Zeitschriften zur Seite.

Die Patientin aber war nur kurz irritiert und legte sich dann brav zur Behandlung auf die Liege. Endlich hatte ihre arme Seele das, was sie brauchte: ungeteilte Aufmerksamkeit. Wenn auch im negativen Sinne. Ich war erst einmal perplex. Aber dann merkte ich, wie mir der Ausbruch die Seele gereinigt hatte – trotz meines schlechten Gewissens.

Doch bevor ich mich entschuldigen konnte, fragte die Patientin treuherzig: „Darf ich weiter zu Ihnen kommen?“ So ganz plötzlich verstand ich diese arme Frau. Ich hatte das ihr bekannte Muster erfüllt. Meine negativen Gefühle waren wie weggeblasen.

Habe ich schon erwähnt, dass sie ihre Medikamente jetzt regelmäßig nimmt und kaum noch Schmerzen hat?