Rückforderungen Heftige Reaktionen auf Hyposensibilisierung

Gesundheitspolitik Autor: Michael Reischmann

Laut Therapieallergene-Verordnung gilt bis 2026 eine Übergangsfrist, in der auch Präparate ohne Zulassung erstattungsfähig sind. Laut Therapieallergene-Verordnung gilt bis 2026 eine Übergangsfrist, in der auch Präparate ohne Zulassung erstattungsfähig sind. © iStock/Dr_Microbe

Für das Jahr 2020 hat die Viactiv Krankenkasse 461 Prüfanträge wegen des Einsatzes von „Therapieallergenen ohne Zulassung“ bei die Prüfungsstellen von KVen und Kassen gestellt. Der Ärzteverband Deutscher Allergologen (AeDA) spricht von „einigen hundert Euro je Patient“, die allein fürs erste Quartal 2020 von Ärzten zurückgefordert würden.

AeDA-Präsident Prof. Dr. Ludger Klimek aus Wiesbaden rät den betroffenen Ärzten, sich gegen die „ungerechtfertigte Forderung“ zu wehren. Er sagt Unterstützung zu: „Die Patienten haben ein Recht auf diese Therapie und ihre Ärzte müssen darauf vertrauen dürfen, dass die Krankenkassen ihrer Verpflichtung der Kostenübernahme nachkommen.“

Es geht um die Spezifische Immuntherapie (Hyposensibilisierung) für Allergiepatienten. Hintergrund ist: Mit der Therapieallergene-Verordnung (TAV) wurden 2008 die Vorschriften zur Arzneimittel-Zulassung auf Therapieallergene ausgedehnt. Die Übergangsfrist, in der noch Präparate ohne Zulassung eingesetzt werden können, endet voraussichtlich 2026, informierten die KV und die Krankenkassen in Berlin im September 2021. Aufgrund der Übergangsvorschrift könnten aktuell sowohl zugelassene als auch verkehrsfähige Präparate im Zulassungsverfahren unter der TAV verordnet werden. Ein Arzt solle vorrangig Therapieallergene nutzen, deren Wirksamkeit belegt ist. Produkte ohne Zulassung und Evidenz stellten „die letzte Option“ dar. 

Krankenkasse: Ohne Zulassung keine Erstattung

Die Arbeitsgruppe Arzneimittel von KV und Kassen in Hamburg verteilte im Oktober 2021 eine Übersicht der zugelassenen und verkehrsfähigen Therapieallergene für Gräser/Getreidepollen, Bäume und Milben. Präparate, die sich auch nach über zwölf Jahren noch im TAV-Prozess befänden, seien „verkehrsfähig, haben jedoch im Sinne des Arzneimittelgesetzes Qualität, Wirksamkeit und Sicherheit bisher nicht nachgewiesen“. Bei Neueinstellungen seien deshalb „zugelassene Präparate (grüne Ampel)“ einzusetzen.

Die Viactiv steht auf dem Standpunkt: Verkehrsfähig, also im Handel, bedeute „eben nicht zugelassen“: „Therapieallergene, die laut TAV über keine gültige Zulassung verfügen, können nicht zulasten der Krankenkassen verordnet werden.“

„Das Vorgehen der Viactiv zeugt von Unwissenheit über die Rechtslage und ist eine Unverschämtheit gegenüber den betroffenen Patienten und Ärzten“, kontert der Präsident des Berufsverbandes der HNO-Ärzte, Dr. Dirk Heinrich. Laut den Rückmeldungen von Mitgliedern handele es sich durchweg um Präparate im TAV-Zulassungsprozess. Und in der Übergangsphase der Wirksamkeitsstudien seien „alle TAV-Präparate zulasten der gesetzlichen Krankenkassen erstattungsfähig“.

Eine Verknappung der erstattungsfähigen Therapieallergene auf Präparate mit TAV-Zulassung sei aus Sicht der Patienten eine Katastrophe. Dr. Heinrich befürchtet: „Jeder Kollege, der jetzt von der Viactiv in ein Regressverfahren reingezogen worden ist, wird sich in Zukunft zweimal fragen, ob er noch Allergiepatienten behandeln soll oder nicht.“

„Der Gesetzgeber hat in der TAV unglücklich formuliert, was er wirklich wollte“, meint Rainer Kuhlen, Fach­anwalt für Medizinrecht in Vell­mar. Es sei versäumt worden, klarzustellen, dass die fiktive Zulassung der Therapieallergene auch mit der Finanzierung durch die GKV verbunden sei. Zwar könnten Ärzte auf den Vertrauenstatbestand der Duldung in früheren Jahren verweisen. Dass sich einzelne Kassen aber plötzlich anders besinnen und auf einen Genehmigungsvorbehalt pochen, ist ihm nicht neu. Isabel Kuhlen, Rechtsanwältin und approbierte Apothekerin, rät den Ärzten analog zu Off-Label-Anwendungen zu argumentieren. Demnach müsste im konkreten Fall eine schwerwiegende Erkrankung vorliegen, für das Anwendungsgebiet kein zulässiges Arzneimittel verfügbar sein sowie die Nutzen-Risiko-Abwägung positiv ausfallen.

Medical-Tribune-Bericht