Sozialversicherungsabgaben „Historisch höchster Beitragsanstieg“

Gesundheitspolitik Autor: Michael Reischmann

Die 95 gesetzlichen Kassen haben in den ersten drei Monaten 2024 ein Defizit von 776 Mio. Euro erzielt. Die 95 gesetzlichen Kassen haben in den ersten drei Monaten 2024 ein Defizit von 776 Mio. Euro erzielt. © studio v-zwoelf – stock.adobe.com

Die Sozialversicherungsabgaben, insbesondere für die Kranken- und Pflegeversicherung, steigen und steigen. Das trifft Praxisinhaber bei den Arbeitgeberbeiträgen. Alternativ müssten die Steuerzahler für Staatszuschüsse ran. Von Leistungskürzungen mag noch niemand reden, von einer „einnahmeorientierten Ausgabenpolitik“ aber schon.

Die 95 gesetzlichen Kassen haben in den ersten drei Monaten 2024 ein Defizit von 776 Mio. Euro erzielt. Ihre Finanzreserven von 7,6 Mrd. Euro entsprechen laut BMG dem Eineinhalbfachen der gesetzlich vorgesehenen Mindestreserve von 0,2 Monatsausgaben

Die dafür ursächliche Ausgabenentwicklung nimmt Prof. Dr. Karl Lauterbach ernst. Der Bundesgesundheitsminister glaubt allerdings, mit Krankenhaus- und Notfallreform, seinem Gesunde-Herz-Gesetz und weiteren Maßnahmen die GKV-Finanzen mittel- bis langfristig stabilisieren zu können, „indem wir die Versorgung effizienter gestalten, die Versorgungsqualität erhöhen und unnötige Ausgaben vermeiden“. 

Dass Handeln jetzt angezeigt ist, untermauert der GKV-Spitzenverband: Die Krankenhausausgaben werden 2024 „erstmals an der 100-Milliarden-Euro-Grenze kratzen“. Jeder dritte Euro der Beitragszahler fließe dorthin, und das bei nur 70 % Bettenauslastung. 

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft kontert: Die Mehrausgaben der letzten Jahre seien vor allem Folge der „politisch und gesellschaftlich gewollten und dringend notwendigen“ Gehaltssteigerungen in der Pflege und bei anderen Berufsgruppen gewesen. Zudem liege der Anteil für Klinikbehandlungen an den GKV-Gesamtausgaben mit jetzt 32,4 % niedriger als 2004 bei der Einführung der DRG (36 %).

Sollten allerdings wirklich die GKV-Beitragszahler mit 25 Mrd. Euro für den Strukturumbau im stationären Sektor (Transformationsfonds) aufkommen müssen, obwohl diese Investitionen eine staatliche Aufgabe sind, werden „Beitragssatzerhöhungen für Arbeitgeber und Versicherte unvermeidbar“ sein, so die Vorstandschefin des AOK-Bundesverbandes Dr. Carola Reimann.

Ein voller Beitragssatzpunkt innerhalb einer Wahlperiode

2025 könnte der Beitragssatz um 0,6 Punkte auf 16,9 % wachsen, schätzt die DAK-Gesundheit. „Mit einer Steigerung um einen vollen Beitragspunkt innerhalb von vier Jahren ist das der historisch höchste Beitragsanstieg in der GKV in einer Wahlperiode“, gibt ihr Chef Andreas Storm zu bedenken. 

Die Ersatzkasse hatte das Berliner IGES Institut mit einer Projektion des Gesamtbeitrags für Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung beauftragt. Ergebnis: Bis zum Jahr 2035 könnte dieser um 7,5 Punkte auf 48,6 % klettern. Allein in der GKV droht demnach in den nächsten zehn Jahren ein Beitragssprung auf 19,3 %. DAK-Chef Storm fordert deshalb einen „Stabilitätspakt“: Der Bund soll z.B. den Kassen die Ausgaben für die Versicherung von Bürgergeldempfängern (jährlich 9,2 Mrd. Euro) erstatten und seinen GKV-Zuschuss dynamisieren. Weder zur Finanzierung von Medizinstudienplätzen noch für den Kliniktransformationsfonds sollen Beitragsgelder verwendet werden.

Zudem wünscht sich Storm eine „dynamische Ausgabendeckelung“, die sich nach den GKV-Einnahmen richtet. Damit könne der Beitragsanstieg bis 2035 um gut zwei Punkte reduziert werden. Die Einführung vertraulicher Arzneierstattungspreise sei damit jedoch ebenso wenig vereinbar wie das Einschränken der Prüfung von Klinikrechnungen, moniert Storm zwei BMG-Reformvorhaben

Laut IGES-Projektion wird der Beitragssatz in der sozialen Pflegeversicherung 2025 um 0,2 Prozentpunkte auf 3,6 % zulegen. Bis zum Jahr 2030 ist „im Basisszenario“ mit einem weiteren Plus um 0,5 Punkte auf 4,1 % zu rechnen. Eine korrigierende Pflegereform ist nicht in Sicht.

Wie Storm erinnert auch AOK-Verbandschefin Dr. Reimann die Ampel an den Koalitionsvertrag: „Wenn der Staat wie zugesagt endlich die Finanzierung der Rentenbeiträge von pflegenden Angehörigen übernimmt, höhere Pauschalen für Bürgergeldbeziehende bereitstellt und zudem die offene Rechnung der 4,5 Mrd. Euro Vorleistung der Pflegeversicherung aus der Coronazeit begleicht, wären das erste Schritte in die richtige Richtung.“