Wie viele Anträge lehnen Krankenkassen ab? Patientenbeauftragte will mehr Transparenz

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Patienten sollten Kassen mithilfe relevanter Kriterien vergleichen können. Patienten sollten Kassen mithilfe relevanter Kriterien vergleichen können. © Feodora – stock.adobe.com

Oft gefordert, flott versprochen, selten eingehalten: das Offenlegen des eigenen Handelns und der Verantwortlichkeiten. Tatsächlich sieht es bei der Einsicht in Arbeitsprozesse oft eher mau aus, auch im Gesundheitswesen. Das gilt insbesondere für manche Krankenkasse.

Die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD) weist seit Jahren auf Transparenzdefizite in der GKV hin. Krankenkassen müssten ihre Versicherten nicht nur vollständig und verständlich über Fristen informieren, die bei der Leistungsgewährung zu beachten sind. Sie hätten auch mitzuteilen, wenn sie z.B. den Medizinischen Dienst beauftragen oder warum sie in einem bestimmten Fall so oder so entscheiden.

Bewusste Versuche der Verschleierung?

Doch 2020 zeigte sich erneut, dass sich einige Krankenkassen nicht vollständig an die gesetzlichen Vorgaben hielten. Insbesondere beim Thema Transparenz sei noch viel Luft nach oben, berichtet die UPD aus ihrer Beratungs­praxis. In einigen Fällen erwecke das Verhalten von Kassen sogar den Eindruck, „dass diese bewusst etwas verschleiern wollten: zum Beispiel, wenn sie eine Entscheidung telefonisch erlassen oder im Widerspruchsverfahren Zwischennachrichten versendet haben“.

Auch die Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Professor Dr. Claudia Schmidtke (CDU), mahnt mehr Engagement an. Sie erwartet, „dass alle Krankenkassen Berichte zur Qualität ihrer Leis­tungsgewährung und zu Leistungskennzahlen wie der Bearbeitungszeit von Anträgen oder der Anzahl erfolgreicher und abgelehnter Widersprüche öffentlich und transparent zur Verfügung stellen“.

Solche Informationen könnten Versicherten helfen, besser einzuschätzen, ob ihre Kasse im Krankheitsfall für sie da sein werde. Hintergrund von Prof. Schmidtkes Äußerung sind Umfragen bei den Krankenkassen Ende 2019 und Anfang 2021 zur öffentlich zugänglichen Leistungsdarstellung, u.a. auf den Webseiten.

88 von 104 angeschriebenen Krankenkassen antworteten 2021, etwa so viele wie 2019. Die Zahl der Kassen, die Daten zu ihrem Leis­tungsgeschehen veröffentlicht haben, lässt jedoch zu wünschen übrig: Sie stieg von neun (2019) auf 25 (2021). Laut Prof. Schmidtke haben fünf Krankenkassen trotz entsprechender Ankündigung von einer Veröffentlichung ihres Leistungsgeschehens Abstand genommen. Als Gründe wurden u.a. Schwierigkeiten beim Ermitteln der konkret zu veröffentlichenden Daten und fehlende Kriterien fürs Herstellen von Transparenz angeführt. 16 Kassen haben mehr Transparenz für 2021 auf der Agenda, zehn prüfen noch Maßnahmen zur ­Veröffentlichung.

Die Patientenbeauftragte lobt, dass seit Ende 2020 alle elf AOKen regelmäßig in Transparenzberichten über ihr Leis­tungsgeschehen informieren. Der BKK-Dachverband hat eine Transparenz- und Qualitätsoffensive ausgerufen, der sich bereits einige Betriebskrankenkassen angeschlossen hätten. Eine „gemeinsame Initiative für mehr Qualitätstransparenz“ wurde auch beim IKK-Dachverband vereinbart.

Barmer bahnt sich den Weg „raus aus der Blackbox“

Die Barmer macht für ihre neun Millionen Versicherten per Transparenzbericht Arbeitsabläufe und Entscheidungsprozesse nachvollziehbar. Darüber hinaus gibt es eine neue Anwendung in der Barmer-App in Sachen Transparenz. Der digitale Service dient als Kompass für die Versicherten und wird als Alleinstellungsmerkmal der Kasse beworben. Die App-Erweiterung zeigt den aktuellen Bearbeitungsstand eines Anliegens, zeigt, ob Unterlagen fehlen oder warum es zu einer Verzögerung kommt. Mit dieser Dienstleistung will die Kasse „raus aus der Blackbox“, hin zu nachvollziehbaren Prozessen. Zurzeit ist für die Versicherten zum Thema Krankengeld der Bearbeitungsstatus der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung einsehbar. Noch in diesem Jahr sollen auch Prozesse bezüglich den Funktionen Mutterschaftsgeld, Hilfsmittel und Zahnersatz einsehbar werden. Später hinzu kommen die Themen Haushaltshilfe, Rehabilitationsleistungen, Kieferorthopädie und Prävention. Es geht bei diesem App-Service immer um Abläufe, die für die individuelle Situation der Versicherten entscheidend sind. Allgemeine Zahlen zu Anträgen, Ablehnungen, Genehmigungen oder Bearbeitungszeiten finden sich im Transparenzbericht. Aufgeklärt wird hier auch über Versichertenrechte z.B. bei vermuteten Behandlungsfehlern oder bei Ablehnung von Leistungen seitens der Kasse.

„Ein Qualitätsvergleich zwischen Krankenkassen funktioniert nur, wenn alle Kassen teilnehmen und die Angaben so aufbereitet werden, dass Versicherte die Krankenkassen anhand der für sie relevanten Kriterien miteinander vergleichen können“, sagt Maria Klein-Schmeink, Bundestagsfraktionsvize und Sprecherin für Gesundheitspolitik von Bündnis 90/Die Grünen.

Chance vertan, Berichtspflicht nicht gesetzlich geregelt

Die Bundesregierung hätte mit dem Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz eine Berichtspflicht für alle Kassen einführen müssen. Stattdessen hätten die Koalitionsfraktionen – und damit auch die Patientenbeauftragte – einen Antrag für mehr Qualitätstransparenz abgelehnt. Das ganze Krankenkassensys­tem sei im Moment sehr stark auf den Wettbewerb um den niedrigen Beitragssatz ausgerichtet, aber nicht auf den Wert für den Patienten. Krankenkassen, die sich in besonderer Weise für Patienten mit hohem oder komplexem Versorgungsbedarf einsetzten, sollten extra belohnt werden, meint die Politikerin: „Dann drehen wir nämlich den Spieß um.“ Von den 170.000 UPD-Beratungen im Jahr 2020 betrafen 42.000 Themen rund um die Krankenkassen. Im Fokus standen Probleme, die Fragen zur Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns stellen ließen, so formuliert es Heike Morris, juris­tische Leiterin der UPD. Sie spricht auch von „Verbraucherfeindlichkeit des Verwaltungshandelns“. Als Beispiele nennt sie die Information über Ablehnungsbescheide per Telefon und unzureichende Hinweise auf Widerspruchsmöglichkeiten. „Sollten Sie sich nicht melden, gehen wir davon aus, dass der Widerspruch zurückgenommen wird“, heißt es beispielsweise. So etwas sei definitiv nicht rechtmäßig. Karl-Josef Laumann (CDU), einst Patientenbeauftragter, heute Gesundheitsminister in Nordrhein-Westfalen, zeigt sich überzeugt, „dass in der Frage der Patientenorientierung in diesem Gesundheitssystem sehr vieles gut läuft“. Dennoch sei es für Patienten schwierig, sich darin zurechtzufinden und die richtigen Fragen zu stellen. „Aus meiner Sicht müssen Patientenrechte erheblich nachgeschärft werden, weil die andere Seite über eine große Übermacht verfügt“, sagt Laumann. Laut UPD-Geschäftsführer ­Thorben Krumwiede veröffentlicht jede vierte Krankenkasse einen Transparenzbericht, aber es fehlt an einer verständlichen Darstellung und Einordnung aus Versichertenperspektive. Ein direkter Vergleich zwischen den Kassen sei wünschenswert, sagt Krumwiede, ebenso Transparenz zum (nicht) rechtskonformen Verwaltungshandeln. Er hofft, dass zumindest die nächste Regierung ein Krankenkassen-Transparenz-Gesetz beschließen wird.

Medical-Tribune-Bericht

Prof. Dr. Claudia Schmidtke, Patientenbeauftragte der Bundesregierung Prof. Dr. Claudia Schmidtke, Patientenbeauftragte der Bundesregierung © Jan Kopetzky