Risikoausgleich für Kassen Pool-Lösung schützt vor Überforderung
Über das 2021 eingeführte Risikopool-Ausgleichsverfahren in Ergänzung zum Risikostrukturausgleich (RSA) sollen schwerwiegende Belastungen einzelner Krankenkassen durch Hochkostenfälle solidarisch finanziert werden. Das Präparat Zolgensma beispielsweise kann seit Juli 2020 in Deutschland bei der Behandlung von Kindern mit spinaler Muskelatrophie (SMA) eingesetzt werden. Geboren werden jährlich ca. 80 bis 120 Kinder mit dieser Erkrankung, davon mindestens die Hälfte mit SMA Typ 1, der schwersten Form der SMA. Die Kosten für die Gentherapie liegen bei rund 1,4 Mio. Euro. Diese werden von der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gezahlt, sofern die verordnenden Ärzte an einer Registerstudie im Rahmen der anwendungsbegleitenden Datenerhebung teilnehmen.
Zolgensma ist ein Extrempreisbeispiel, aber es gibt inzwischen zahlreiche Medikamente mit Nettokosten pro Verordnung im 5-stelligen Eurobereich. „In den zurückliegenden Jahren sind die Jahrestherapiekosten für neuartige Arzneimittel kontinuierlich gestiegen“, heißt es in einem Gutachten des Bundesamtes für Soziale Sicherung (BAS) zum Risikopool. Im Jahr 2020 hätten die Ausgaben für neue patentgeschützte Arzneimittel auf dem deutschen Markt bei rund 14,3 Mrd. Euro gelegen. Die Kostensteigerung in diesem Arzneimittelsegment läge bei fast 25 % im Vergleich zu 2019. Besonders betroffen: Advanced Therapy Medicinal Products (ATMP), monoklonale Antikörper und Orphan Drugs.
Konkret wird im Gutachten der Frage nachgegangen, wie sich sog. Pay-for-Performance(P4P)-Verträge, die zwischen Krankenkassen und pharmazeutischen Unternehmen (pU) abgeschlossen werden, auf die Preisentwicklung auswirken. Bei solchen Verträgen entscheidet retrospektiv der Therapieerfolg bzw. Misserfolg („Therapieversagen“) über die Höhe der Therapiekosten.
Der Risikopool gleicht 80 % der Kosten, die den Schwellenwert von 100.000 Euro übersteigen aus, bezogen auf die Ist-Kosten einer Erkrankung (nicht auch Folgekosten wie beim RSA). Die Gelder sind direkt zuweisungsrelevant. Im jeweils nächsten Jahresausgleich wird eine einmalige Korrektur der Risikopool-Zuweisungen vorgenommen, erstmalig 2023 für das Ausgleichsjahr 2021.
Problematisch sind noch Lücken bei den Datenlieferungen. Krankenkassen konnten bei einer Abfrage des BAS erst mit deutlicher zeitlicher Verzögerung die abgerechneten Zahl- und Erstattungsbeträge benennen, denn der Nachbeobachtungszeitraum muss erst beendet und das Ausmaß des Therapieversagens klar sein. Auch hinsichtlich der Arzneimittel(-gruppen) bzw. Wirkstoffe/Wirkstoffgruppen im P4P-Vertrag hatte das BAS sehr unterschiedliche Antworten erhalten. Einige Krankenkassen nannten spezifische ATC-Codes, andere die Handelsnamen einzelner Präparate. Der längste dem BAS mitgeteilte Nachbeobachtungszeitraum beträgt fünf Jahre.
Problematisch ist zudem, dass der Managementaufwand für den Vertragsabschluss und das Controlling der Verträge sehr hoch ist. Die Verhandlungen zwischen Krankenkasse und pU sind zudem komplex und zeitaufwändig. Bei Uneinigkeiten zwischen den Vertragspartnern entstehen hohe Kosten für das Einschalten von Wirtschaftsprüfunternehmen. Und problematisch ist auch, dass sich mit den Ratenzahlungs- und Rückerstattungsverträgen zwei grundlegende Vertragsmodelle herausgebildet haben, die unerwünschte Anreizeffekte entwickeln. Das BAS schlägt in seinem Gutachten ein aufwandsarmes und datensparsames Verwaltungsverfahren vor, damit die P4P-Verträge auch unter den Bedingungen des neu eingeführten Risikopools attraktiv bleiben. „Damit soll weiterhin eine hohe Versorgungsqualität mit Arzneimitteln für die betroffenen, meist schwerstkranken, Versicherten ermöglicht werden. Nach meiner Überzeugung ist uns dies mit dem vorliegenden Vorschlag sehr gut gelungen“, so Frank Plate, Präsident des BAS.
Enormer Preisanstieg
„Die Preise neuer Arzneimittel bei Inverkehrbringen haben sich seit 2010 nahezu vervierfacht: 2012 betrugen die durchschnittlichen Jahrestherapiekosten zum Zeitpunkt des Markteintritts bzw. zum Zeitpunkt der Bewertung eines neuen Anwendungsgebietes 40.000 Euro. Im Jahr 2019 lagen sie bei 152.000 Euro.“
Quelle: BAS-Sondergutachten zu den Wirkungen von Pay-for-Performance-Verträgen vor dem Hintergrund des Risikopools.
Neues Verfahren der Datenlieferung angeraten
Vorgeschlagen wird ein neues P4P-Ausgleichsverfahren, das auf einer neu einzuführenden Datenmeldung fußt. Grundlage ist eine Fall-ID, unter der die Krankenkassen entsprechende Leistungsdaten melden. Die Fall-ID bleibt über alle Jahre der P4P-Meldungen identisch. Die einzigartige Fall-ID soll auch sicherstellen, dass die Daten über mehrere Jahre hinweg verknüpfbar und damit plausibilisierbar sind. Für Verstorbene und Kassenwechsler ist eine separate Datenmeldung vorgesehen.
Per P4P-Ausgleichsverfahren wird dann der Ausgleichsbetrag, den die Krankenkasse aus dem Gesundheitsfonds aufgrund der Datenmeldung für eine Fall-ID erhält, berechnet. Ebenso berechnet wird die Gesundheitsfonds-Rückzahlung. Das ist der Betrag, der von der Krankenkasse aufgrund einer Erstattung durch den pU an den Gesundheitsfonds zurückzuzahlen ist.
Im Juli 2021 hatte das BAS den Stand der P4P-Verträge – in Deutschland oft als „leistungsorientierte Vergütung“ bezeichnet – beim GKV-Spitzenverband abgefragt. Dabei zeigte sich, dass sich die Anzahl der geschlossenen Verträge im Zeitverlauf von Juni 2019 bis Juni 2021 von 58 auf insgesamt mindestens 85 Verträge mit erfolgsabhängigen Vergütungsmodellen deutlich erhöht hatte – „was zeigt, dass P4P-Verträge attraktiv sind“, so das BAS.
Medical-Tribune-Bericht