Gesetzliche Krankenkassen Erst mal mehr Staatsknete, dann Kostendämpfung?

Gesundheitspolitik Autor: Michael Reischmann

Es droht eine Verdoppelung des Zusatzbeitragssatzes. Es droht eine Verdoppelung des Zusatzbeitragssatzes. © thanksforbuying – stock.adobe.com

Die gesetzlichen Krankenkassen brauchen zur Deckung ihrer Ausgaben mehr Geld. Kurzfristig wird das wohl mit einem höheren Bundeszuschuss kommen. Bis zum Ende der Legislaturperiode sollen Strukturreformen der nächsten Regierung, vor allem im Kliniksektor, greifen.

Sehr weit lagen die Einschätzungen von Kassenchefs, Ökonomen und dem bisherigen Vorsitzenden des Bundestagsgesundheitsausschusses, Erwin ­Rüddel (CDU), beim Europäischen Gesundheitskongress in München nicht auseinander: Um das politische Versprechen, die Sozialversicherungsbeiträge nicht über 40 % (derzeit 39,95 %) bzw. den durchschnittlichen GKV-Zusatzbeitrag nicht über 1,3 % steigen zu lassen, einzuhalten, bedarf es zunächst des Ausgleichs des Kassendefizits durch einen noch höheren Bundeszuschuss.

Andreas Storm, Vorstandschef der DAK-Gesundheit, bezifferte den zusätzlichen Finanzbedarf der GKV fürs nächste Jahr mit 15,6 Mrd. Euro – im Bundeshaushalt seien aber derzeit nur 7 Mrd. Euro als Ergänzung zum (Basis-)Staatszuschuss von 14,5 Mrd. veranschlagt. Es bedarf also weiterer 8,6 Mrd. Euro. Storm verwies auf Berechnungen des Berliner IGES-Instituts, wonach der „zusätzliche Finanzbedarf“ der GKV in den nächsten Jahren auf bis zu 27,3 Mrd. Euro (2025) klettern kann. Schon 2023 drohe eine Verdoppelung des Zusatzbeitrags bzw. eine Zunahme um 1,6 Prozentpunkte bis 2025.

Die Beiträge für den Krankenversicherungsschutz werden von den Arbeitseinkünften abgeleitet. Doch deren Entwicklung hält nicht mit dem Ausgabentrend mit.

Storm erinnerte daran, dass Union und SPD 2017 in ihren Koalitionsvertrag geschrieben hatten, dass die Kassen kostendeckende Beiträge für die Bezieher von ALG II erhalten sollten, was fast 10 Mrd. Euro bringen würde. Umgesetzt wurde das allerdings nicht. Stellschrauben auf der Ausgabenseite, so der DAK-Chef, könnten Leistungskürzungen, höhere Zuzahlungen, Preisabschläge für Hersteller und Behandelnde, eine ermäßigte Mehrwertsteuer auf Arzneimittel und Medizinprodukte sowie Strukturreformen, z.B. zur sektorenübergreifenden Versorgung, sein. Wegen der Pandemie kam es zu keiner Reform im stationären Sektor samt Notfallversorgung, bedauerte der CDU-Abgeordnete Rüddel. Das müsse nun nachgeholt werden. Seine Vorstellung ist: Wenn der Bund sich an der Finanzierung der Investitionskosten der Krankenhäuser beteiligt, weil die Länder das ja nicht in ausreichendem Maße tun, sollte er auch Vorgaben machen, die von den Ländern bei der Planung von Betten, Qualitätssicherung und Sektorenverzahnung anzuwenden sind. Der Essener Gesundheitsökonom Professor Dr. Jürgen ­Wasem schlägt dagegen vor, von der dualen Krankenhausfinanzierung auf eine monistische zu wechseln: Auch die Investitionskos­ten könnten über das DRG-System abgebildet und von den Krankenkassen bezahlt werden. Schon heute erfolgt eine Querfinanzierung der Investitionen über eine Leistungsmengenausweitung bei den abgerechneten Klinikfällen. Der Ökonom sprach sich ebenfalls für eine kurzfristige Defizitbehebung per Bundeszuschuss aus – so würden auch die privat Versicherten beteiligt, die ja relativ mehr Steuern bezahlten. Mit Interesse entnahm er den Ausführungen Rüddels, dass dieser nicht von Kostendämpfung sprach. Dabei, so Prof. Wasem, würden doch im Bundesgesundheitsministerium bereits Listen geschrieben, was Versicherten, KVen (z.B. Budgetnullrunde) und Krankenhäusern (z.B. fixierte Landesbasisfallwerte) zugemutet werden könne. „Alle Bälle müssen in der Luft gehalten werden“, sagte Rüddel. Für wichtig hält er eine Stärkung der Patientensteuerung im ambulanten Bereich, insbesondere durch die Hausarztzentrierte Versorgung. Mehr Gewicht für die Haus­ärzte fordert auch ­Sigrid König, Vorständin des BBK-Verbandes Bayern. Sie wünscht sich im Medizinbetrieb eine ganzheitliche Betrachtung der Patienten und eine Kommunikation auf Augenhöhe. Sie meint: „Das Geld reicht. Wir müssen aber an den Strukturen etwas ändern.“

Kongressbericht: 20. Europäischer Gesundheitskongress München