Krankenhausreform Klinikfinanzierung soll bis 2027 grundlegend geändert werden
Die Deutsche Diabetesgesellschaft (DDG) hatte im Dezember zu einem politischen Empfang in Berlin eingeladen. Der Termin passte sehr gut, denn kurz zuvor hatte der Bundesgesundheitsminister seine Reformideen für den Krankenhausbereich bekannt gegeben. Zu den möglichen Wirkungen positionierten sich die Teilnehmer unterschiedlich. Während sich die Bundestagsabgeordneten Nezahat Baradari (SPD) und Johannes Wagner (Bündnis 90/Die Grünen) erwartbar lobend zuversichtlich zeigten, äußerte sich Oppositionsvertreter Dietrich Monstadt (CDU) verhalten.
Aus Monstadts Feder kamen in der letzten Legislaturperiode die Vorschläge für eine beschlossene Nationale Diabetesstrategie. Umgesetzt wurde diese aber nicht, kritisierte er. Zudem lägen seitens des Ministers bisher lediglich Absichtserklärungen vor, aber kein konkreter Gesetzentwurf, dämpfte der CDU-Politiker die Hoffnungen. Einen Referentenentwurf soll es vor der parlamentarischen Sommerpause geben.
Positive Signale aus der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Krankenhausreform
Da es erhebliche Qualitäts- und Personaldefizite im Krankenhausbereich gibt und 60 % der Einrichtungen finanzielle Probleme haben, einigten sich die Vertreter der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Krankenhausreform in ihrer Sitzung auf ein gemeinsames Vorgehen. „Wir haben in der Problemanalyse zusammengestanden“, äußerte sich Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD) zufrieden. Dieser Konsens sei sehr wichtig. In dieser Vollständigkeit habe er das selten erlebt.
Man befinde sich am Vorabend einer Revolution im Krankenhaussektor, so der Minister. Basis für Veränderungen seien die Vorschläge der Expertengruppe Krankenhaus, mit denen sich die Durchökonomisierung der Medizin verhindern lasse. Eine leitlinienkonforme Behandlung soll wieder im Vordergrund stehen, so der Minister. Bis zur parlamentarischen Sommerpause soll der Referentenentwurf vorliegen.
Die niedersächsische Gesundheitsministerin Daniela Behrens (SPD) sieht Bund und Länder vor einer Mammutaufgabe zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung. Viele Bundesländer hätten aber auch bereits eigene Initiativen entwickelt. Diese Fäden müsse man nun zusammenführen. Karl-Josef Laumann (CDU), Gesundheitsminister des Landes Nordrhein-Westfalen, betonte, die Struktur der Krankenhäuser müsse eine den Menschen dienende Funktion haben. Dabei müsse sichergestellt werden, dass die von den Kliniken angebotenen Leistungen auch in guter Qualität und mit entsprechenden Fallzahlen erbracht werden können. Laumann betonte zugleich, das Krankenhausplanungsrecht müsse bei den Ländern bleiben, weil die regionalen Strukturen einfach unterschiedlich seien. Ein Reformplan darf aus seiner Sicht auch kein Krankenhausschließungsplan werden. Es gehe vielmehr darum, wer was mache, um zu einer Strukturqualität zu kommen.
Die Regierungskommission wird die Verhandlungen in den nächsten Monaten begleiten. Zu den Kosten der Reform befragt, bemerkte der Bundesgesundheitsminister, hierfür gebe es kein Preisschild. Es komme ganz auf die Umsetzung an.
„Die prognostizierte Insolvenzwelle rollt jetzt an“
Es drängt bei den Nachbesserungen, denn die Folgen der problematischen DRG-Vergütung sind deutlich erkennbar. Der Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Dr. Gerald Gaß, hat angesichts drohender Insolvenzen die „Alarmstufe Rot“ für den Klinikbereich ausgerufen. „Die schon vor einigen Monaten prognostizierte Insolvenzwelle rollt jetzt an“, ist sich Dr. Gaß sicher.
Die Politik habe den Zeitpunkt, zu dem sich die Welle noch stoppen ließe, fast schon verpasst; der Schaden für die Versorgung werde 2023 in vielen Regionen sichtbar werden, meint der DKG-Präsident.
In der Diabetologie wurden aus Kostengründen bundesweit Abteilungen geschlossen oder verkleinert. Und auch die Kindermedizin kann – wie angesichts vieler RSV-Fälle klar wurde – mit den verbleibenden Ressourcen den Bedarf der Patienten längst nicht mehr decken.
DDG-Präsident Prof. Dr. Andreas Neu bringt es so auf den Punkt: „Das Effizienzdenken nimmt breiten Raum in der Medizin ein und definiert Handlungsabläufe und Entscheidungen.“ Damit soll allerdings laut Prof. Lauterbach bald Schluss sein. Mit der Äußerung „Wir haben die Ökonomie zu weit getrieben“, zeigt der Minister Problemverständnis. „Die Behandlung von Patientinnen und Patienten in Krankenhäusern soll künftig mehr nach medizinischen und weniger nach ökonomischen Kriterien erfolgen.“ Prof. Lauterbach spricht von einer Revolution.
Der vielfach geforderten Abschaffung des Fallpauschalensystems will er aber nicht nachkommen. Er spricht sich stattdessen für eine Vergütung mit Vorhalteleistungen, Versorgungsstufen und Leistungsgruppen aus, basierend auf den Vorschlägen einer 17-köpfigen „Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“. Der Vergütungsanteil der Fallpauschalen soll in einzelnen Leistungsbereichen auf 40 bis 60 % zugunsten der Vorhaltebudgets gesenkt werden. Aus DRG werden rDRG (Residual-DRG). Diese rDRG plus das Pflegebudget ergeben rechnerisch die Vorhaltepauschalen, die unabhängig von der Leistungsmenge gezahlt werden. Verteilt wird das Vorhaltebudget über das Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS). Das Gesamtfinanzierungsvolumen soll gleich bleiben.
Die Regierungskommission empfiehlt eine Einteilung im Klinikbereich in bundesweit einheitliche Krankenhaus-Level:
- Level Ii (integrierte ambulante/stationäre Grundversorgung)
- Level In, II und III (Regel- und Schwerpunktversorgung mit Notfallstufe)
- Level IIIU (Universitätsmedizin).
128 Leistungsgruppen mit Strukturvorgaben und detaillierten Definitionen sind im Gutachten aufgelistet. Prof. Lauterbach ist überzeugt, dass sich mit dem neuen System nicht mehr Gewinn auf Kosten der Versorgenden und Patienten machen lässt.
Für die Pläne gibt es viel Lob. „Der Einstieg in die Finanzierung von Vorhaltekosten auf der Basis eines gestuften Krankenhaussystems ist zu begrüßen“, äußern sich u.a. Dr. Susanne Johna, Vorsitzende des Marburger Bundes, und PD Dr. Michael A. Weber, Präsident des Verbandes leitender Krankenhausärztinnen und -ärzte.
Die Krux an der Sache ist allerdings, dass entsprechende gesetzliche Regelungen erst in fünf Jahren vollständig zum Tragen kommen sollen. Für die DKG ist das ein großes Manko.
DKG-Chef befürchtet eine Neuverteilung des Mangels
Aus Sicht der DKG bleibt der von Prof. Lauterbach angekündigte Vorrang der Medizin vor der Ökonomie ein leeres Versprechen. Die Kosten der Krankenhäuser stiegen derzeit doppelt so schnell wie die staatlich festgelegten Preise. Das strukturelle Defizit werde sich bald auf rund 15 Milliarden Euro summieren. „Es grenzt schon an Magie, durch die Neuverteilung dieses Mangels davon zu sprechen, dass man den ökonomischen Druck beseitigen und der Medizin den Vorrang vor der Ökonomie einräumen will“, erklärt DKG-Präsident Dr. Gerald Gaß zu den Reformplänen. Er weist auf unzureichend erfüllte Investitionsfinanzierung seitens der Bundesländer hin. „Laut Krankenhaus-Barometer lag die Investitionssumme der Häuser 2021 bei 6,8 Milliarden Euro. Aus öffentlichen Fördermitteln stammen nur 47 %.“ Den Rest müssten die Krankenhäuser selbst aufbringen, ganz überwiegend indem sie sich dafür verschuldeten.
Sprechende Medizin wird im Reformplan nicht erwähnt
Verhaltenen Optimismus zeigt die DDG-Spitze. Beim bisherigen Reformpapier bleibe unklar, wie der Umbau gelingen kann, wenn den Krankenhäusern künftig nicht mehr Geld zur Verfügung stehe. Besonders kritisch wird die Verortung der Diabetologie allein in Level II (Regel- und Schwerpunktversorgung) gesehen. Die Diabetologie sollte sich auf allen drei Versorgungsstufen widerspiegeln, auch in der Grund- und Maximalversorgung.
Prof. Dr. Andreas Fritsche, Vizepräsident der DDG, findet, dass Einrichtungen mit diabetologischen Strukturen finanzielle Zuschläge erhalten sollten, Einrichtungen ohne diese Strukturen dagegen Abschläge. Die Past-Präsidentin der DDG, Prof. Dr. Monika Kellerer, zeigte sich enttäuscht, dass die Sprechende Medizin im Reformvorhaben weder erwähnt noch gestärkt wird. Die angestrebte Ambulantisierung werfe ebenfalls Fragen auf.
DGIM-Generalsekretär Prof. Dr. Georg Ertl sieht es als entscheidende Herausforderung an, die Veränderungsprozesse, die insbesondere für kleine Kliniken anstehen, bestmöglich zu begleiten, um Widerstand in den Regionen, die um ihre wohnortnahe medizinische Versorgung und Arbeitsplätze bangen, zu begegnen. „Im ländlichen Raum kann die Angliederung von fach- und hausärztlichen Gemeinschaftspraxen an Kliniken mit Zugang zu Pflegebetten ein Modell sein, das die medizinische Grundversorgung sicherstellt“, so Prof. Ertl. Die Attraktivität kleinerer Häuser müsse für jüngere Ärztinnen und Ärzte weiterhin erhalten werden.
Da die Bundesländer für die Krankenhausplanungen zuständig sind, muss es Prof. Lauterbach schaffen, seine Länderkollegen von den Reformdetails zu überzeugen. Die Länder sind willig. In der Gesundheitsministerkonferenz hat man sich zu einem gemeinsamen Vorgehen bzw. zu gemeinsamen Beratungen verständigt.
Die CDU/CSU-Fraktion will ihre Expertise in die Beratungen einbringen, sicherte Monstadt zu.
Wohlwollen auf Bundesebene ist das eine, Äußerungen Einzelner in sozialen Netzwerken das andere. Denn hier wird mächtig Dampf abgelassen. „Wir können gern von einer Revolution im Gesundheitssystem sprechen, sobald Karl Lauterbach seinen Rücktritt verkündet hat“, schreibt Twitter-Userin Aysi. Josch108 vermutet, die Revolution führt zu einer weiteren Erhöhung der Beiträge. „Und wieder nur Gelaber, keine Taten“, sieht MarySancho84.
Medical-Tribune-Bericht