Plädoyer Warum müssen Krankenhäuser schwarze Zahlen schreiben?

Gesundheitspolitik Autor: Dr. Michael Feld

Kaum etwas ist so kompliziert und komplex aufgestellt, wie das deutsche Gesundheitswesen. Kaum etwas ist so kompliziert und komplex aufgestellt, wie das deutsche Gesundheitswesen. © upixa – stock.adobe.com

Dr. Michael Feld ist in den Versuch, ein kleines Krankenhaus im Rhein-Erft-Kreis zu retten, involviert. Die Ambivalenzen und Paradoxien, die der System- und Strukturwandel mit sich bringt, kommentiert er für MT.

Mitte der 2000er hielt der damalige Abteilungsleiter im Gesundheitsministerium von Ulla Schmidt, Franz Knieps (heute Vorstand des BKK-Dachverbandes), einen bemerkenswerten Vortrag im hässlichen 1970er-Jahre-Betonbunker-Holzstuhl-Hörsaal der Biochemie und Physiologie der Uniklinik Köln. Sein erster Satz lautete in etwa: „Sehr verehrte Damen und Herren, ich mache jetzt seit 20 Jahren Gesundheitspolitik. Und ich muss Ihnen gestehen: Ich habe bis heute noch nicht alles verstanden. Es ist wie bei einem Mobile. Wenn Sie vorne irgendwo ziehen, wissen Sie nie, wo es hinten überall ­klingelt.“

Kaum etwas ist so kompliziert und komplex aufgestellt, wie das deutsche Gesundheitswesen. Dies mag den damit Kundigen gewisse Vorteile gegenüber den darin (nur) Arbeitenden verschaffen, bringt aber am Ende Tages deutlich mehr Probleme als Patente mit sich.

Im Ballungsraum Rheinland schicken die Niedergelassenen ihre Patienten tagsüber für die elektiven Eingriffe (teils durchaus begründet) in die schicken Kölner Kliniken und Praxen. Die nächtlichen Nachblutungen der lädierten Leistenbrüche sowie die Infarzierungen der verstopften Stents landen dann aber notfallmäßig per Rettungswagen im nächstgelegenen Haus. Die müssen dann ran, wenn die anderen längst pennen: Während in Villariba noch gespült wird, wird in Villabajo schon gefeiert. 

Ab 22 Uhr ist die zentrale Notaufnahme voll

Der Rhein-Erft-Kreis, aus dem ich komme und in dem ich arbeite, hat 500.000 Einwohner und sieben Krankenhäuser. Sechs davon sind klein, eins ist mittelgroß. Jeden Abend und am Wochenende hocken in fast allen Notaufnahmen aller von Landes- und Bundesregierung zum Abschuss freigegebenen Häuser so um die 10 bis 20 Patienten und es fah­ren im Schnitt zwei oder drei RTW pro Stunde ein. Fast immer ist ab 22 Uhr die Hütte voll. 

Die KV-Notdienstpraxen, in die die Politik der grünen Tische diese Menschen gerne verschieben möchte, sind aber auch schon voll. Man denkt in Düsseldorf und in Berlin, dass die sog. Bagatellerkrankungen aus den Notaufnahmen der Krankenhäuser verbannt und in die dafür angeblich besser geeigneten KV-Praxen geleitet werden können, wenn die richtige „Steuerung“ via Telefonleitstelle (112 und 116 117 zusammenlegen) oder eine gemeinsame Theke von zentraler Notfallaufnahme und KV-Notdienst dies regeln.

Was man dabei – neben der Tatsache, dass der arme Leitstellendisponent zwecks juristischer Absicherung noch mehr RTW rausschickt – vergisst, ist die Psyche der Bürger, die plötzlich oder nach Stunden, Tagen oder Wochen nachts irgendwas spüren, was ihnen Angst macht, sie schmerzt oder stört. Medizinische Bildung müsste schon ab der Grundschule vermittelt werden. Passiert aber nicht. Also kann man den Patienten meist keinen Vorwurf wegen ihres Verhaltens machen.

Sie können meist nicht wissen, ob der Kopfschmerz, der gerade auftritt, eine Hirnblutung oder ein Hirngespinst ist. Oder ob der Druck auf der Brust vom Bewegungsapparat, von der Pumpe oder durch den Streit mit der Gattin kommt. Sie haben keine Medizin studiert, suchen aber nach Hilfe und versprechen sich diese am ehesten im Krankenhaus. Das ist  immer auf, dort vermutet man, auf mehrere Ärzte und Schwestern zu stoßen, da gibt es zur Not einen OP, Röntgen, ein Labor usw. 

Liegen noch Goldbarren unter dem Dreikönigsschrein?

Es gehört zu den archaischen Reflexen der menschlichen Seele, sich festhalten zu wollen, wenn der Boden schwankt. Folglich mutet ein Krankenhaus – alleine baulich – fast immer sicherer an, als eine im Anbau,  Pavillon oder Keller befindliche KV-Praxis, deren Eingang man oft mit der Taschenlampe suchen muss und in der man ebenfalls stundenlang wartet, bis man drankommt. Zudem: Während man in 116 117-Warteschleife 30 Minuten hängen bleiben kann, geht bei der 112 immer jemand direkt dran. 

Alle Krankenhäuser in meiner Region sind in den roten Zahlen, einige dunkelrot. In zwei Jahren sind – wenn kein Wunder geschieht oder ein kirchlicher Träger tonnenweise Goldbarren unter dem Dreikönigsschrein des Kölner Doms gebunkert hat – drei von sieben Häusern platt.

Da die Politik in Bezug auf Häuser und Träger keine Handhabe hat, zu sagen, „Du darfst bleiben, Du musst gehen“, macht sie Folgendes: Sie drückt alle Kliniken unter Wasser und hofft, dass möglichst viele ertrinken. Doch diejenigen, die das überleben, tragen auch einen hypoxischen Hirnschaden davon. Weil niemand weiß, was wird, fahren derzeit alle Krankenhäuser nur auf Sicht. 

Karl Lauterbachs Wahlkreis Köln-Mülheim/Leverkusen liegt rechts­rheinisch, genau wie das Städtische Klinikum Köln-Merheim, in dem sein Berater Christian Karagiannidis arbeitet. Die Städtischen Kliniken Köln (Merheim, Holweide, Kinderklinik Amsterdamer Straße) haben über 100 Mio. Euro Schulden, jedes Jahr kommen 30 Mio. neue dazu. „Karl und Kara“ halten die Hand drüber, genau wie die Kölner Oberbürgermeisterin Reker. 

Aber die kleinen Häuser, die die Basis- und Notfallversorgung der ländlichen Bevölkerung sicherstellen und eine nicht zu unterschätzende psychologische, soziologische und zumindest im Rheinland auch eine caritativ-religiöse Komponente haben, sollen von der Landkarte verschwinden. Wir werden uns wundern, was passiert, wenn diese Krankenhäuser weg sind. Mit ihnen stirbt nicht nur die wohnortnahe Versorgung, mit ihnen verschwindet auch ein wichtiger Ankerplatz der Ängste. 

Die 20 Patienten der ZNA im Krankenhaus in Brühl, das es ggf. nicht mehr gibt, fah­ren dann nach Frechen und setzen sich zu den anderen 20 dort bereits Wartenden. Plus die jeweils 20 Patienten aus Erftstadt und Hürth. Macht 80 Patienten gleichzeitig in der Notaufnahme von Frechen. Das ist tapfer.

Es heißt, dass die Niedergelassenen im Konstrukt von ambulantisierten Mini-Kliniken die stationäre Basisversorgung der alten Leute, die tags und nachts mit dem Rettungswagen kommen, übernehmen könnten und man die anderen Abteilungen abschaffen könne. Für die Hüft-OP oder Herzkatheter gebe es ja tags­über die Stadt. 

Das Problem ist aber, dass ein Hausarzt kein Geriater ist und man gerade ältere Patienten nicht mit Praxiswissen vernünftig stationär versorgen kann. Das ist halt eine andere Art von Medizin. Außerdem hat der Hausarzt schon genug zu tun und will nicht auch noch nachts im Krankenhaus keulen. Und ohne Fachabteilung mit Weiterbildungsermächtigung bekommt man auch keine Assistenten, die Dienste schieben. 

Andererseits: Die Kardiologie der Uniklinik Köln hat inzwischen für jede Herzklappe einen eigenen Oberarzt. Kein Witz. Das braucht es auch. Denn die katheterbasierten Klappeninterventionen sind heute so sophisticated, dass kaum einer alle Maßnahmen beherrschen kann. Zwischen diesen beiden stationären Extremen klafft bereits eine riesige Lücke. Diese kann die ambulante Medizin weder fachlich noch personell schließen. 

Demografie wird uns das Genick brechen

In einer ökonomisierten Gesundheitslandschaft wird Davos statt Daseinsfürsorge debattiert. Doch warum müssen Krankenhäuser eigentlich schwarze Zahlen schreiben? Das tut die Feuerwehr auch nicht. Warum werden Krankenhäuser nicht als Orte der Daseinsfürsorge angesehen und bezahlt? Die Demografie wird uns gesundheitspolitisch das Genick brechen, wenn diejenigen, die darüber entscheiden, die Daseinsfürsorge einer älter und kränker werdenden Gesellschaft nicht über die Daten stellen. Dormagen ist nicht Dänemark. Und niemand kommt Oma Schmitz besuchen, wenn sie mehr als 20 km weit weg liegt.

Gastkommentar