"Ich brauche keine explodierenden Autos"
Sie sind vor Kurzem nach einigen Jahren in der Toskana nach Norddeutschland gezogen. Ihre letzten Bücher hatten überwiegend diese Region als Hauptschauplatz, "Nachts in meinem Haus" spielt nun schon etwa zur Hälfte in Hamburg. Wollen Sie Italien von der Örtlichkeit her langsam verlassen?
Sabine Thiesler: Das weiß ich noch nicht. Ich plane nicht, mal sehen, was mit mir geschieht, was mich umtreibt und bewegt, die Geschichten kommen ja zu mir, da kann ich gar nichts machen. Jedes Buch hat indirekt mit meinem Leben und meiner Lebenssituation zu tun, daher kann es sein, dass sich etwas ändert und ich mich langsam etwas mehr aus der Toskana entferne.
Woher nehmen Sie die Ideen zu Ihren Büchern?
Sabine Thiesler: Eine Idee kann ganz unterschiedlich entstehen: Ich sehe ein einsames Haus im Wald, oder ich begegne einem interessanten Menschen, aber meist entsteht eine Idee dadurch, dass ich mir überlege, wovor ich mich fürchte. Als wir nach Friesland zogen, war im Haus alles noch ungewohnt, ich gruselte mich nachts und stellte mir vor, was alles passieren könnte. Und schon war die Anfangsidee für mein Buch "Nachts in meinem Haus" geboren.
Dann denke ich Tag und Nacht daran, das Thema wird in meinem Kopf immer komplexer, Figuren tauchen auf und schleichen sich in mein Leben ein. Ich beginne langsam zu schreiben und lasse in meiner Phantasie die Geschichte entstehen. Von Tag zu Tag lerne ich die Figuren besser kennen, sie sitzen in meinen Gedanken mit am Tisch, Situationen entwickeln sich und die Figuren verraten mir, wie sie sich verhalten. Und so wächst das Buch, oft sogar über lange Zeit mit unvorhersehbarem und noch völlig unklarem Ende…
Wie fühlen Sie sich, wenn ein Buch fertig ist?
Sabine Thiesler: Ich bin unheimlich froh und auch ein bisschen stolz, dass ich es wieder geschafft habe. Dann schicke ich das Manuskript zu meiner Lektorin, und dann geht das große Zittern los, ob es ihr gefällt. Zum Glück quält sie mich nie lange und liest ganz schnell, gibt auch manchmal Zwischenberichte. Und wenn sie dann richtig begeistert ist, dann kommt bei mir die große Erleichterung und ich kann mich entspannen. Dann gönne ich mir drei, vier Tage ein bisschen freie Zeit, aber dann werde ich auch schon wieder kribblig und möchte unbedingt ein neues Buch anfangen. Zumindest gedanklich baue ich sofort an einer neuen Geschichte.
Wie sieht Ihr Schreiballtag aus?
Sabine Thiesler: Der Vormittag gehört der Alltagsorganisation: Erledigungen, Einkäufe, Hundespaziergang, Telefonate, Mails beantworten etc. Dann gibt es bei uns eine große Koch- und Mittagessenorgie, und erst so gegen 16 oder 17 Uhr gehe ich an den Schreibtisch. Und schreibe gern so bis 22 Uhr. Dann läute ich den Feierabend ein, schlafe aber um 23 Uhr meist schon süß und selig im Sessel.
Führen Sie vor einem Buch eine umfangreiche Recherche durch oder schreiben Sie eher "aus dem Bauch heraus"?
Sabine Thiesler: Ich schreibe eher aus dem Bauch heraus. Aber manchmal lassen sich umfangreiche Recherchen nicht vermeiden. So bin ich dabei, für mein neues Buch den Alltag in deutschen Gefängnissen zu recherchieren. Es ist sehr schwierig, Zugang zu den Vollzugsanstalten zu bekommen, und kostet verdammt viel Zeit.
Fühlen Sie sich in Deutschland wieder heimisch bzw. was fehlt Ihnen eventuell sehr aus Italien?
Sabine Thiesler: Ich fühle mich unglaublich wohl hier, bin in meine norddeutsche Wahlheimat zurückgekehrt, liebe das Land und die Leute und diesen trockenen friesischen Humor. Ich genieße es, nicht alle Dinge des täglichen Lebens auf Italienisch regeln und nicht alle Telefonate auf Italienisch führen zu müssen. Tja, aber was fehlt mir? – Ich glaube, die italienischen Nächte.
Auch im Oktober noch nachts um 12 in Siena im T-Shirt bei einem Glas Rotwein auf der Piazza del Campo sitzen zu können, halb Italien ist unterwegs, auch die Kinder spielen noch auf der Straße oder toben durchs Restaurant. Und irgendwoher aus einer Gasse oder aus einem geöffneten Fenster dringt Musik. Und ein Sänger singt schluchzend italienische Sehnsuchtsschnulzen. Wunderbar!
Was/wen lesen Sie selbst gerne?
Sabine Thiesler: Ich habe gerade Juli Zeh für mich entdeckt, eine unglaublich kluge und interessante Autorin.
Gibt es inzwischen konkretere Pläne für Verfilmungen Ihrer Bücher?
Sabine Thiesler: Es gab schon viele Angebote und Pläne, aber ich habe sie alle abgelehnt. Weil niemand meine Geschichten adäquat verfilmen wollte, sondern weil sie sie in das Schema F des einheitlichen deutschen Fernsehbreis pressen wollten. Ich erzähle alle meine Geschichten aus der Sicht des Mörders. Ich zeige seine Motivation, seine Gedanken, sein Handeln. Und in dem Moment, in dem der Leser begreift, wie der Mörder tickt und was sein Beuteschema ist, wird es unheimlich spannend, weil der Leser selbst überall mögliche Opfer entdeckt.
Aber dieses Kopfkino, das die Phantasie des Zuschauers in Gang setzt, ist dem deutschen Fernsehen zu "gruselig" und zu "schrecklich" (wörtlich). Sie wollen alle aus meinem liebenswerten Trottel Neri, der ja wirklich nur eine amüsante Nebenfigur ist, einen Hauptermittler machen, der den Film trägt. Sie wollen also aus meinen komplizierten, tiefsinnigen Psychothrillern einen banalen Ermittlungsfilm machen, so wie es sie schon hundert- und tausendfach gibt. Und da mache ich nicht mit.
Helfen Ihnen Ihre Bücher, eigene Ängste zu bewältigen?
Sabine Thiesler: Unbedingt! Da sich ja meine Geschichten um meine eigenen Ängste drehen, bin ich, wenn das Buch fertig ist, schon fast therapiert.
Gibt es ein Thema, vor dem Sie wirklich zurückschrecken?
Sabine Thiesler: Zurückschrecken nicht, aber ich mag keine Action, bei mir fliegen keine Autos in die Luft, explodieren keine Hochhäuser und bei mir sind die Buchseiten auch nicht getränkt mit Blut mit scheußlich drastisch beschriebenen Gewaltszenen. Einige Kollegen machen das, ich nicht. Bei mir findet der "Horror" im Kopf statt. Ich schildere eine Szene, und da der Leser sehr gut weiß, was das jetzt bedeutet, entsteht die Spannung. Ganz subtil und manchmal auch ganz gemein. Denn es gibt nichts Schöneres und nichts Schrecklicheres als die Phantasie.
Quelle: Medical-Tribune-Interview
Zum Buch "Nachts in meinem Haus"
In Sabine Thieslers neuem Psychothriller dringt der Leser tief in die Seele eines Menschen ein, dem Unfassbares widerfährt. Wie reagiert jemand in einer derart schrecklichen Situation, wem kann er noch trauen? Viele von Toms Entscheidungen lassen an seinemVerstand zweifeln. Doch gerade ihm zuzusehen, wie er sich immer tiefer in die Katastrophe reitet, macht den Roman so spannend. Und schließlich ist man nur froh, dass das letzte Gewitter im eigenen Haus ohne Zwischenfälle verlief... Jetzt teilnehmen und gewinnen! Medical Tribune verlost 5 Exemplare von Sabine Thieslers Roman "Nachts in meinem Haus".
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Einsendeschluss ist der 03.03.2017