Umsetzung des GVSG wird spannend Kassen: Honorarplus von 400 Mio. Euro garantiert nicht einen zusätzlichen Arzttermin

Gesundheitspolitik Autor: Michael Reischmann

Durch Entbudgetierung sollen unnötige Arzt-/Praxis-Patienten-Kontakte vermieden werden, um Kapazitäten für Patient*innen mit akutem Behandlungsbedarf zu schaffen. Durch Entbudgetierung sollen unnötige Arzt-/Praxis-Patienten-Kontakte vermieden werden, um Kapazitäten für Patient*innen mit akutem Behandlungsbedarf zu schaffen. © Robert Poorten – stock.adobe.com

„Wir sind ab sofort verhandlungsbereit“, ruft der KBV-Vorstand den Krankenkassen zu. Gemeint ist die Ausgestaltung der von Rot-Gelb-Grün beschlossenen Gesetzesregelungen zum entbudgetierten hausärztlichen Honorar.

Der KBV-Vorstand begrüßt die im Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) verankerte Entbudgetierung der hausärztlichen Vergütung „ausdrücklich“. Er strebt „die schnellstmögliche Einführung“ an. Allerdings bleibt die Führung der Körperschaft bei ihrer Einschätzung: Die Formulierungen würden „die Gefahr von spürbaren Honorarumverteilungen mit potenziell riskanten und kaum kalkulierbaren Auswirkungen auf die Versorgung“ bergen.

So wird der von KBV- und Kassenvertretern besetzte Bewertungsausschuss per Gesetz beauftragt, für die Behandlung von chronisch kranken Erwachsenen ohne intensiven Betreuungsbedarf eine quartalsübergreifende, mindestens halbjährlich abrechnungsfähige Versorgungspauschale einzuführen. Die kann nur einmal durch eine einzige, die jeweilige Erkrankung behandelnde Arztpraxis abgerechnet werden – unabhängig von Anzahl und Art der Kontakte zum Versicherten.

Der Hausärztinnen- und Hausärzteverband (HÄV) spricht von etwa 10 bis 15 Patientinnen und Patienten pro Praxis und Quartal, die das betrifft. „Für alle anderen Patientinnen und Patienten ändert sich nichts! Bei diesen wird man nach wie vor die bekannten Quartalspauschalen abrechnen können.“

Ein Problem ist, dass eine Praxis nicht erkennen kann, ob anderswo bereits eine Abrechnung der Pauschale erfolgt ist. Dabei können parallele Behandlungen sowohl in einer Hausarztpraxis als auch in einer (hausärztlichen) Schwerpunktpraxis für Diabetes, HIV, Substitutionsbehandlung, Schmerztherapie oder Psychotherapie ganz im Interesse einer adäquaten Versorgung sein.

Das BMG erklärt: „Die Regelungen über eine Versorgungspauschale sind vom Bewertungsausschuss zu beschließen. Die hierfür vorgesehenen Voraussetzungen umfassen nur leichte chronische Erkrankungen. Bei intensivem Betreuungsbedarf vulnerabler Gruppen gelten die bisherigen Abrechnungsregelungen fort.“

Eine Pauschale für die klassische Versorgerpraxis

Ferner soll der Bewertungsausschuss eine ggf. gestufte Vorhaltepauschale festlegen. Diese ist an das Vorliegen von Kriterien gekoppelt. Genannt werden u. a. Haus- und Pflegeheimbesuche, „bedarfsgerechte“ Praxisöffnungszeiten, eine Mindestanzahl an zu versorgenden Versicherten sowie die regelmäßige Nutzung von TI-Anwendungen. „Welche Kriterien am Ende wirklich aufgenommen und wie diese dann gewichtet werden, steht aktuell noch in den Sternen“, erklärt die Spitze des HÄV. Klar ist allerdings, dass mit der neuen Pauschale die jetzige EBM-Position 03040 wegfallen soll.

Da Praxen, „die keine klassische hausärztliche Versorgung leisten“, weniger als bisher profitieren sollen, könne es „hier zu gewissen Verschiebungen kommen, die jedoch aller Voraussicht nach eher gering ausfallen werden“, schreibt der HÄV-Vorstand auf der Verbands-Homepage.

Unnötige Kontakte vermeiden, freie Kapazitäten schaffen

Beide Pauschalen sollen laut Gesetz weder zu Mehr- noch zu Minderausgaben der Krankenkassen führen. Sie und die Entbudgetierung helfen nach Ansicht des BMG dabei, „unnötige Arzt-/Praxis-Patienten-Kontakte zu vermeiden“. Dadurch würden in den Praxen Kapazitäten für Patientinnen und Patienten mit akutem Behandlungsbedarf frei.

Kassenvertreter bezweifeln das. Sie kritisieren die Entbudgetierung als Geldverteilung mit der Gießkanne. „Dieses Gesetz ist so aufgebaut, dass die Hausärzte garantiert 400 Millionen Euro Honorar zusätzlich bekommen, selbst wenn es keinen einzigen zusätzlichen Arzttermin gibt“, äußerte sich die stellvertretende Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, Stefanie Stoff-Ahnis. Eine Verbesserung der Versorgung in sozial benachteiligten Stadtteilen oder ländlichen Regionen werde sich durch das GVSG nicht einstellen, da notwendige Steuerungsmechanismen fehlten.

Allerdings sind Termine in Hausarztpraxen – anders als bei Facharztpraxen – für die meisten Versicherten kein Problem, wie der GKV-Spitzenverband selbst mit einer Umfrage herausfand: 52 % der Interviewten empfanden 2024 die Wartezeiten als „genau meinen Wünschen entsprechend“, nur 12 % sind unzufrieden (s. Grafik). Die Hälfte der Patientinnen und Patienten wartet nur einen Tag auf einen Termin beim Hausarzt und ein Viertel länger als drei Tage. Dennoch sehen die Kassen Handlungsbedarf bei der Terminvermittlung (s. Kasten).

Krankenkassen möchten Arzttermine vermitteln 

Der GKV-Spitzenverband macht sich für eine gesetzliche Regelung stark, nach der alle Arztpraxen einen festzulegenden Anteil ihrer GKV-Termine tagesaktuell auf einem Onlineportal zur Verfügung stellen sollen. So würde Transparenz über Terminoptionen erreicht. Zudem könnten dann Krankenkassen Termine für ihre Versicherten vermitteln. 51 % repräsentativ befragte Versicherte sehen eine Terminvergabe übers Internet als „(sehr) wichtig“ an. Allerdings würden 57 % eine Online-Terminvermittlung durch nicht-kommerzielle Anbieter bevorzugen. Denn es gibt Bedenken, dass kommerzielle Anbieter Privatversicherte bei der Terminvergabe bevorzugen, und dass eigene Personendaten zweckentfremdet verwendet werden könnten.
Der Bundesvorsitzende des Virchowbunds, Dr. Dirk Heinrich, betont: „Ein Eingriff in die Terminvergabe ist ein Eingriff in die privatrechtliche Praxisorganisation und damit ein Angriff auf das Eigentum der Praxisärzte. Dies ist aus unserer Sicht verfassungswidrig. Wir werden uns gegen derartige Angriffe auf unser Eigentum nötigenfalls auch vor dem Bundesverfassungsgericht verteidigen.“

Der Spitzenverband der Fachärztinnen und Fachärzte betont: „Die hausärztliche Entbudgetierung ist ein erster wichtiger Schritt in die richtige Richtung und deutlicher Wegweiser für die Befreiung der Fachärztinnen und Fachärzte von der Budgetierung in der nächsten Legislaturperiode.“ Die KBV erinnert auch an die einst beabsichtigte Einführung einer Regressbagatellgrenze von 300 Euro.

GKV-Versichertenbefragung GKV-Versichertenbefragung © MT-Grafik