KV Bayerns zieht ernüchternde Bilanz Regelungen zu Entbudgetierung, iMVZ sowie Akut- und Notfallversorgung lassen weiter auf sich warten
„Die vergangenen drei Jahre waren verlorene Zeit für unser Gesundheitssystem – Zeit, die wir schlichtweg nicht haben“, sagte Dr. Christian Pfeiffer, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB). Und: „Auf das Cannabis-Gesetz hätten wir aus Sicht der Ärzteschaft gut und gerne verzichten können.“
Einige Gesetzesinitiativen seien vor dem Ampel-Aus zwar noch angestoßen worden, relevante Anliegen, wie notwendige gesetzliche Regelungen beim vertragsärztlichen Notdienst (Stichwort: Patientensteuerung in die richtige Behandlungsebene) oder die Anhebung der Geringfügigkeitsgrenze jedoch nicht realisiert worden, so der KVB-Chef. Die Umsetzung des im November beschlossenen Krankenhausreformgesetzes werde die KV Bayerns als Vertretung der niedergelassenen Ärzteschaft nun weiter kritisch verfolgen, besonders hinsichtlich der Primärversorgungszentren.
Laut Dr. Pfeiffer müsse endlich die lange angekündigte Entbudgetierung von Haus- und Fachärzteschaft erfolgen. Dr. Peter Heinz, stellvertretender KVB-Vorstandsvorsitzender, mahnte hier die „längst überfällige Aufwertung des ambulanten Bereichs, verbunden mit einer echten Wertschätzung“ an. „Die neue Bundesregierung muss die Praxen, die immerhin 90 Prozent der medizinischen Versorgung stemmen, endlich aus dem Schatten der stationären Versorgung herausholen.“ Möglich sei dies durch die Entbudgetierung aller hausärztlichen Leistungen, die bereits beschlossen war, jetzt aber nicht mehr zum Tragen käme sowie die Entbudgetierung im fachärztlichen Bereich, die derzeit allerdings „in weiter Ferne“ liege.
Ausbreitende iMVZ setzen Arztpraxen immer stärker unter Druck
Der „massive wirtschaftliche Druck“, unter dem niedergelassene Ärztinnen und Ärzte als auch Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten derzeit stünden, sei deutlich spürbar, erklärte Dr. Pfeiffer. Besonders durch das Vordringen von Finanzinvestoren, die über investorengetragene Medizinische Versorgungszentren (iMVZ) den ambulanten Sektor immer mehr dominierten, würden die Praxen an wirtschaftlicher Stabilität verlieren. Die fehlenden gesetzlichen Vorgaben seien nicht hinnehmbar, so Dr. Peter Heinz, der Bundesgesundheitsminister Lauterbach einen „Ankündigungsminister“ nannte. Auch hier müsse die neue Bundesregierung aktiv werden, bevor „das System völlig an die Wand“ fahre.
In Bayern seien derzeit 500 Hausarztpraxen unbesetzt, verwies Dr. Pfeiffer auf den zunehmenden Ärztemangel. Es fehle nicht nur an Medizinstudienplätzen, sondern auch an attraktiven Rahmenbedingungen, um Medizinstudierende für die selbständige Arbeit im niedergelassenen Bereich zu begeistern.
Bei dem ins Stocken geratenen Masterplan 2020 zog er Parallelen zum Bau des Berliner Flughafens, dessen Fertigstellung sich bekanntermaßen ebenfalls um Jahre verzögert habe. Der KVB-Vorstandsvorsitzende fügte jedoch an, dass in Bayern seither zahlreiche Fördermaßnahmen für Studierende, aber auch für Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung auf den Weg gebracht worden seien. Die Förderung des Praktischen Jahres führte er hier als neuestes Projekt an.
Auf die „schwierigen, aber durchaus konstruktiven Verhandlungen“ mit den Kassen über die ärztliche Vergütung, auch bei den Impfungen, ging er ebenfalls ein. Die Gespräche seien noch nicht abgeschlossen. Eine Nullrunde lehne die KVB ab. Zwar wisse man um „die Finanznot der Krankenkassen“, diese dürfe jedoch nicht „auf dem Rücken der Vertragsärzteschaft ausgetragen“ werden, warnte Dr. Pfeiffer.
Mit Blick auf die ePA, die Mitte Januar 2025 in mehreren Testregionen startet, auch in Franken, merkte Dr. Heinz an, dass sich die neue Patientenakte „nur dann zu einer echten Bereicherung für die Versorgung“ entwickeln könne, wenn sie „praxistauglich, nutzerfreundlich und vor allem datensicher gestaltet“ sei. Da es sich allerdings um eine „versichertengeführte Akte“ handele, habe sie „mit einer elektronischen Patientenakte, wie sie sich die Ärzteschaft idealerweise vorstelle“, lediglich bedingt zu tun. Die weiteren Entwicklungen müsse man abwarten.
Akut- und Notfallversorgung in akuter Gefahr
Ein drängendes Thema ist laut Dr. Pfeiffer die Akut- und Notfallversorgung. Erstmals richtete die KVB deshalb in diesem Jahr die Expertenkonferenz „INSAN“ mit Fokus auf indikationsgerechte Patientenlenkung und -steuerung aus, und brachte so relevante Player aus Politik, von Kliniken, Krankenkassen und niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten zusammen. Wie Patientensteuerung in der Akut- und Notfallversorgung besser funktioniere, zeige das Pilotprojekt „Gemeinsamer Tresen“ in Rosenheim, erläuterte er. Das Projekt entlastet Notaufnahmen, indem es den Patientenfluss effizient steuert. Im kommenden Jahr geht es auch in Augsburg und Würzburg an den Start. Als Erfolg wertete der KVB-Vorstandsvorsitzende auch die digitale Vernetzung der Rufnummern von Bereitschaftsdienst und Notruf. Seit Juni werde zudem die Videotelefonie „DocOn-Line“ im Bereitschaftsdienst angeboten, die nun auch in Pflegeheimen erprobt wird.
Als weiteres Ärgernis führte Dr. Heinz noch die Präqualifizierungspflicht an, die er als „Paradebeispiel eines völlig unsinnigen Bürokratismus“ bezeichnete. Aufgrund der Regelung müssten Hals-Nasen-Ohren-Ärzte oder auch Augenärzte eine Präqualifizierung durchlaufen, wenn sie bestimmte Hilfsmittel wie Hörgeräte oder therapeutische Kontaktlinsen an Praxen abgeben wollen. Hierbei würden „Dinge abgefragt“, die in der ärztlichen Praxis „völlig state of the art“ seien, wie etwa einen vorhandenen Empfang. Da müsse man sich „teilweise an den Kopf greifen“, was solche „Bürokratieaktionen an Geld, Ressourcen und Personal“ verschlingen würden, so der stellvertretende KVB-Vorstandsvorsitzende. Davon abgesehen, seien die Mitarbeitenden dadurch „völlig frustriert und demotiviert“.
Zu wenige Psychotherapieplätze gefährden Versorgung
Dr. Claudia Ritter-Rupp, zweite stellvertretende KVB-Vorstandsvorsitzende, mahnte an, dass die eigene, „so dringend notwendige“ Bedarfsplanung für Kinder- und Jugendpsychotherapeuten durch das Ampel-Aus nun erst mal nicht realisiert werden könne. Die KV Bayerns versuche aktuell, sich mit Landesregierung und Krankenkassen über passgenaue Lösungen in jenen Regionen abzustimmen, in denen die Patientinnen und Patienten besonders lange auf einen Psychotherapieplatz warten müssten.
Medical-Tribune-Bericht