Mit SGLT-2-Hemmer schmeckt die Torte umso besser
Wir alle haben Gebiete im bunten Strauß der Allgemeinmedizin, in denen wir uns lieber tummeln als in anderen. Zu den weniger geliebten Bereichen gehört bei mir definitiv der Diabetes mellitus Typ 2. „Wem gehören diese Blutwerte?“, fragte ich meine Mitarbeiterin, während ich fasziniert auf viele kleine Zahlen starrte, die mit einer Drei begannen. „Das sind die Zuckerwerte von Frau F, die hat das Heim geschickt“, war die schon erwartete Antwort. „Die wollen wissen, was sie jetzt machen sollen!“
Der Nachteil bei Patient(inn)en, die man vertretend betreut, ist der, dass man sich immer erst einmal schlau machen muss, bevor man eine Entscheidung trifft. Ich sah einen Medikamentenplan mit ausufernden Insulindosen und rief im Heim an. „Ach ja, Frau F…“, seufzte die Fachkraft am anderen Ende der Leitung. „Die sagt ihren Kindern immer, was sie gerne haben möchte. Vom Schmalzbrot über Krakauer bis zu Schokolade und anderen Naschereien. Die bringen ihr das auch immer brav mit, denn wenn sie sich weigern, wird die alte Dame unerträglich!“ Natürlich hatte man im Seniorenstift schon versucht, die „Kinder“ in den Fünfzigern in konspirativen Gesprächen auf eine etwas günstigere Diät einzustimmen, aber das bis dato vergebens.
Drei Brötchen waren es schließlich schon immer
Hier hatte ich das im Großen, was ich fast täglich im Kleinen hörte: Dass man wegen seines Diabetes nicht auf den Nachmittagskuchen verzichten wolle, dass man sich ja auch „was gönnen“ möchte und dass drei Brötchen zum Frühstück für einen übergewichtigen Rentner doch genau die richtige Menge seien, weil er die schon immer gegessen hätte.
Dass ich üblicherweise die nach- weihnachtlichen HbA1c-Werte nur mit sehr viel Gleichmut gewappnet ansehen kann, ist selbstverständlich, und irgendwann kommt ja auch der Frühling (Ich denke jetzt mal nicht an Ostern, an Kommunions- und Konfirmationsfeiern, ans Grillen im Garten mit Bier und Baguette, an Kartoffelfeuer und Stockbrot- Braten und an all die weiteren Herausforderungen, die im Laufe eines Jahres auf den gesundheitsbewussten Mitbürger einstürmen, bis plötzlich schon wieder Weihnachten ist). Aber was macht man mit den notorischen Diätignorierern?
Gibt man ihnen teure DPP-4-Hemmer, GLP-1-Analoga oder SGLT-2-Hemmer? Gerade Letztere finde ich ungeheuer hilfreich, um üppig wuchernde Pfunde in Schach zu halten. Aber soll man sie wirklich in dem Wissen verschreiben, dass die Schwarzwälder Kirschtorte dem Patienten umso besser schmeckt, weil er deren Zucker damit wenigstens zum Teil wieder auspieseln kann?
Erhöht man die Insulindosis, kann man den Pfunden beim Wachsen zusehen. Meine Patientin aus dem Seniorenheim war dafür ein prächtiges Beispiel. Man hatte durch immer steigende Dosen die Blutglukose bislang knapp unter 300 mg/dl gehalten. Dass die Patientin durch ihre Gewichtszunahme ihre letzte Mobilität verlor und lieber in Bett und Rollstuhl ihre Familie regierte, statt sich mit Rollator und Gymnastikgruppe ein bisschen mobil zu halten, nahm man hilflos in Kauf.
„Was machen wir denn nun mit Frau F.?“, holte mich die Stimme der Altenpflegerin aus meinen depressiven Überlegungen. „Ich spreche mit ihr und telefoniere noch einmal mit ihrem Sohn“, sagte ich lahm, wohl wissend, dass dieses das Problem kaum lösen würde.
Nicht wirklich motiviert wandte ich mich dann dem eintretenden Patienten zu, der, wie ich wusste, schon länger an Diabetes litt. „Na klar“, dachte ich mir, „er ist wegen des Dauerregens nicht mehr spazieren gegangen und hat sich lieber den leckeren Kartoffelklößen seiner Frau gewidmet.“ Der Anblick seiner Laborwerte ließ mich jedoch stutzen: „Wie kommen Sie denn zu einem so guten HbA1c?“, fragte ich erstaunt. „Sie haben doch gesagt, ich solle mich mehr bewegen“, antwortete er vergnügt, „und dass zwei Schnitten Brot auch reichen. Daran habe ich mich gehalten!“ So ein kluger Mann, und so compliant! Manche Diabetiker sind ja doch einfach zum Knuddeln!