Vom Palliativseminar in die Karnevalssitzung
Wie heißt doch gleich der flotte Spruch, wenn man/frau sich erschöpft fühlt? Ach ja: „Jetzt wär ein Wochenende recht.“ Blöd ist nur, wenn einem dieser Spruch am Sonntagabend in den Sinn und auf die Lippen kommt. Und genau das ist mir passiert: Ich saß an einem solchen Abend erschöpft in unserem Wohnzimmer mit diesem Satz im Kopf. Warum?
Ich rekapitulierte erst mal: Die letzte Woche in der Praxis war der Erkältungs- und Grippesaison angemessen zwar arbeitsreich, aber ohne besondere Aufregung, Ärger, Computerprobleme oder Personalfragen. Am Freitagmittag fuhr ich – zugegeben eilig und etwas im Stress – direkt von der Praxis zu einer Fortbildung. Zum nahezu alljährlichen Refresher-Seminar in Palliativmedizin.
Das ist ein Wochenende, an dem wir in kollegialem Kreis Neuigkeiten erfahren aus dem Bereich der Pharmakotherapie, vor allem der Schmerztherapie, aber auch der sog. Symptomkontrolle. Wir erörtern juristische und ethische Probleme, meist eine bestimmte Fragestellung. Wir sind ein kleiner Kreis und kennen uns fast alle seit unserer palliativmedizinischen Ausbildung, die wir vor über zehn Jahren abgeschlossen haben. Dadurch können wir ziemlich offen miteinander diskutieren und es kommen neben dem kollegialen Austausch oft auch Gespräche über private oder halb private Themen zustande.
Was wir alle besonders schätzen, sind die Fallbesprechungen sowohl aus medizinischer Sicht als auch vom psychologischen Standpunkt aus. Dieses intensive Arbeiten erfordert zwar Anstrengung und Konzentration, lohnt sich aber immer. Und so war es einfach eine Freude, die „alten Nasen“ wiederzusehen und auch noch gute Fortbildung zu erfahren.
Erholung ist die Grundlage für Flexibilität im Beruf
Ich stieg zufrieden, gestärkt und neu motiviert in den Zug nach Hause. Die Fahrt war eher ruhig, da meine Mitreisenden alle mit „Knopf im Ohr“ in ihr Laptop bzw. Tablet starrten und ich in Ruhe meinen Gedanken nachhängen konnte. Da fiel mir plötzlich ein, was ich ganz vergessen hatte. Am Abend stand ja noch ein schon lange festgelegter Programmpunkt an, der lokale „Kappenabend“. Also: Koffer auspacken, kurz die Post überfliegen und dann Faschingskostüm zusammenstellen, anziehen und Schminke ins Gesicht. Geht ja alles, ich bin ja flexibel. Wenigstens hatte ich noch einen viertelstündlichen Fußmarsch zur Veranstaltung, um mich innerlich umzustellen.
Um es kurz zu machen: Der Kappenabend war toll. Ein riesiges Programm von Tanzeinlagen zur Lokalpolitik, von der Büttenrede bis zum obligatorischen Männerballett, Singen und Schunkeln. So wie wir halt in unserer von Mainz geprägten Region Fasching feiern. Aber es hat gedauert bis ich innerlich bei den Narren und Närrinnen angekommen war und mitfeiern konnte. Ein echter „Gefühls-Spagat“ von der Beschäftigung mit dem Lebensende zu ausgelassener Fröhlichkeit. Kein Wunder, dass ich am Sonntagabend k.o. war!
Mich erinnerte das ganze Wochenende an meinen Sprechstundenbetrieb. Ist das nicht auch täglich ein Spagat? Nach der rheumakranken geriatrischen Patientin ein Baby mit Verdauungsproblemen, nach dem Patienten mit Hypertonus und Diabetes ein munteres Kleinkind zur U6. Dazwischen eine Schwangere mit Fieber. Ständiger Wechsel, oft Gefühlsbäder. Auf alle Patienten versuchen wir uns bereitwillig einzustellen und ihnen die Beratung und Behandlung angedeihen zu lassen, die sie brauchen. Wir Hausärzte sind oft Meister der Flexibilität. Jeden Tag, die ganze Woche lang.
So hat sich wohl das Muster von der Arbeitswoche auf das Wochenende übertragen, sodass ich mich nicht erholen konnte. Und Erholung ist schließlich die Voraussetzung für die Flexibilität, für die Fähigkeit, sich immer wieder neu auf die unterschiedlichsten Menschen einzustellen. Gut, dass jetzt die ruhigere Zeit kommt.