Pflegeversicherung Regierung hat ein „toxisches“ Ausgaben-Thema vor der Brust
Nach einem Gutachten des wissenschaftlichen Beirats des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) ist die soziale Pflegeversicherung (SPV) nicht nachhaltig finanziert. Details und Lösungen präsentierten die Ökonomen Prof. Dr. Friedrich Breyer, federführend für das Gutachten, Universität Konstanz, sowie Prof. Dr. Klaus M. Schmidt, Beiratsvorsitzender, Ludwig-Maximilians-Universität München.
Generationengerechtigkeit erfordert mehr Kapitaldeckung, sagt Prof. Schmidt. Ansonsten würden die Pflegeausgaben die Jüngeren bald deutlich belasten. Selbst ohne Ausweiten der Pflegeleistungen steige die Pflegequote in der Gesamtbevölkerung von derzeit 5 % über 6,4 % (2040) auf etwa 7,5 % im Jahr 2050.
Die Bundesregierung plant wegen der zunehmenden Belastungen der Pflegebedürftigen, die Eigenanteile in der stationären Pflege zu begrenzen. Derzeit liegt der Eigenanteil im Schnitt zwischen 1.590 Euro pro Monat in Sachsen und 2.619 Euro in Baden-Württemberg. Ein Begrenzen des Eigenanteils, z.B. auf den Bundesdurchschnitt von 2.184 Euro pro Monat hätte aber zur Folge, dass der SPV-Beitrag erheblich steigen müsste, warnt Prof. Breyer. Zudem käme es zu einer massiven Umverteilung von „armen“ zu „reichen“ Bundesländern.
Sozialabgaben könnten auf über 50 % steigen
Noch problematischer sei es, die SPV um eine freiwillige, paritätisch finanzierte Vollversicherung zu ergänzen, die die Pflegekosten komplett absichere. Hierzu soll laut Ampelkoalition eine Expertenkommission bis 2023 konkrete Vorschläge vorlegen.
Die Freiwilligkeit ist laut Prof. Breyer nicht mit einer paritätischen Finanzierung vereinbar. Auch widerspreche eine Vollversicherung im Umlageverfahren der Generationengerechtigkeit. Der Gesamtbeitrag zur Sozialversicherung könne auf über 50 % steigen und die arbeitende Generation überfordern.
Der Beirat schlägt vor, dass die Babyboomer – Menschen, die heute Anfang 50 bis Anfang 60 sind – zusätzliche Leistungen selbst finanzieren. Sie könnten noch Rücklagen bilden, da ihre Pflegebedürftigkeit erst etwa 20 Jahre später als der Altersrentenbezug eintrete. Eine Kombination von SPV und privater Vorsorge, mit Zahlungen aus Erspartem oder einer Zusatzversicherung, habe sich bewährt, so Prof. Breyer. Das könne man so beibehalten.
Ein Ausweiten des Leistungskatalogs sei jedoch bei der umlagefinanzierten SPV nicht generationengerecht. Sowohl durch die Mütterrente als auch durch die Rente für besonders langjährig Versicherte („Rente mit 63“) wurden laut BMWK für bestimmte Personengruppen bereits zusätzliche Ansprüche geschaffen. Außerdem stellt die sog. Rentengarantie seit 2009 sicher, dass sinkende Löhne und Beitragseinnahmen nicht zur Rentenminderung führen.
Der Beirat setzt also auf die private Zusatzversicherung. Anhand zweier Policen aus einem Vergleichsportal wurden Durchschnittsbeiträge kalkuliert. Unter der Annahme, dass alle 30- bis 65-Jährigen verpflichtet werden, eine solche Versicherung abzuschließen, „haben wir ein Ansparvolumen von 17 Mrd. Euro im Jahr ausgerechnet“, so Prof. Breyer. Unterstützt der Staat alle armutsgefährdeten Menschen, sind gut 2,3 Mrd. Euro als Subvention aufzubringen.
Hoffnung, dass das Gutachten auch im BMG gelesen wird
Natürlich dürfe kein Versicherungsfall abgewiesen werden. Der Vertragsabschluss sei kollektiv möglich; verwiesen wird beispielhaft auf den Tarifvertrag in der chemische Industrie für 400.000 Beschäftigte.
Die Vorschläge des Beirats ähneln denen des PKV-Verbandes. Einen Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums gab es für das Gutachten nicht, sagt Prof. Schmidt. Der wissenschaftliche Beirat wähle seine Themen selbst aus, die Pflegeversicherung betreffe auch den Arbeitsmarkt. Die Beiratsmitglieder hoffen aber, dass im BMG das Gutachten gelesen wird. Sie begrüßen, dass die Regierung die Pflege auf die Tagesordnung gesetzt hat. Allerdings sei das Thema etwas toxisch: „Es muss mehr gezahlt werden. Das ist schwierig zu verkaufen.“ Während der Gaskrise werde das Thema wahrscheinlich keine sehr große Aufmerksamkeit erringen, meint Prof. Schmidt. Er ist sich aber sicher, dass das Problembewusstsein bei vielen Politikern wachsen wird.
Quelle: Pressegespräch – Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz