Altersvorsorge ade? Sachverständige raten, den Verkauf von Kassenarztsitzen einzuschränken
Es geht nicht um mehr, sondern um eine gezielte Steuerung“, erklärte Professor Dr. Ferdinand Gerlach, Vorsitzender des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesens (SVR), in der Bundespressekonferenz zu notwendigen Änderungen in der Gesundheitsversorgung.
Für die Notfallversorgung schlagen die Experten (wie schon in einem Gutachten von 2017) vor, bisher getrennte Zuständigkeiten (ärztlicher Bereitschaftsdienst, Rettungsdienst und Notaufnahme) in einfach erreichbaren Integrierten Leitstellen (ILS) und in Integrierten Notfallzentren (INZ) zu bündeln. Rund um die Uhr finden die Patienten hier Hilfe. Mit Blick auf Erfahrungen aus Dänemark rechnen die Sachverständigen mit einer Reduzierung der Inanspruchnahme von Notaufnahmen zwischen 20 und 30 %.
Ob 112 oder 116 117 – alle landen bei der Leitstelle
Wer sich als Notfall sieht, soll zuerst eine ILS kontaktieren, Anrufe unter 112 und 116 117 laufen zusammen. Erfahrene Fachkräfte nehmen mit Unterstützung breit weitergebildeter Ärzte sowie einem leitliniengestützten Notfallalgorithmus eine qualifizierte Ersteinschätzung (Triage) vor. Danach folgt ihre Empfehlung des Versorgungspfades: z.B. regulärer Besuch einer Arztpraxis, Rufen des Rettungsdienstes, Hausbesuch eines Bereitschaftsarztes, Aktivierung eines Notpflege- oder Palliative-Care-Teams oder auch der Soforttermin im INZ am Krankenhaus für gehfähige Patienten.
Weitere Triage am Tresen des Notfallzentrums
In den INZ arbeiten niedergelassene Ärzte und Klinikärzte Hand in Hand unter einem Dach. Die gesamte Versorgung erfolgt vernetzt und mit einheitlicher Dokumentation.
Kommt der Patient zum Tresen – der von KV-Ärzten organisiert wird – erfolgt eine weitere Triage. Je nach Dringlichkeit der Behandlung und Schwere der Erkrankung werden die Patienten danach zur Behandlung durch den niedergelassenen bzw. den Klinikarzt (ggf. mit stationärer Aufnahme) weitergeleitet. Für diese, an Krankenhäusern angesiedelten, aber selbstständig arbeitenden sektorenübergreifenden Versorgungsbereiche wird im Gutachten eine einheitliche, extrabudgetäre Vergütung empfohlen. Diese soll aus Grundpauschale (Vorhaltekosten für die Notfallversorgung) und Vergütung pro Fall bestehen und unabhängig von der Fallschwere gezahlt werden.
Für Patienten, die ohne vorherigen Kontakt zur Leitstelle zum INZ kommen, können sich die Sachverständigen eine sog. Kontaktgebühr vorstellen. Das sei aber nur „Plan B“. Auf alle Fälle müssten sich diese Patienten (als edukative Maßnahme) ganz hinten am Tresen anstellen, Vorrang hätten Patienten mit Termin mittels ILS.
Ein sicher noch heiß diskutiertes weiteres Thema, das die Sachverständigen aufgreifen, ist das Nachbesetzungsverfahren von Vertragsarztsitzen. Das Praxiseigentum werde häufig zu einem den Sachwert weit übersteigenden Preis verkauft, als ob es sich bei einem Vertragsarztsitz um ein „eigentumsähnliches“ Gut handele, bemerken die Experten.
Kassenärzte in Ballungsgebieten und Großstädten würden derzeit vom Verkauf profitieren. Aus der Versorgung ausscheidende Kassenärzte in ländlichen, bereits drohend unterversorgten Gebieten seien dagegen benachteiligt, da durch freie, „kostenlose“ Sitze in ihrem Versorgungsgebiet ihr Vertragsarztsitz bei der Praxisabgabe fast keinen Wert mehr besitze. Änderung kann laut SVR eine Reform des Zulassungssystems dahingehend bringen, „dass Kassenarztsitze nicht nur de jure, sondern auch de facto ohne Eigentumsrechte vergeben werden“. Der Gesetzgeber solle den Weiterverkauf bei Nachbesetzung einschränken.
Recht auf Kassenarztsitz mit Verfallsdauer
Die Gesundheitsweisen kritisieren auch die fehlende Transparenz bezüglich der wahren Übernahmepreise. Um erkennen zu können, ob der Verkehrswert überschritten wird, sollten künftig die tatsächlich gezahlten Übernahmepreise dem Zulassungsausschuss gemeldet und ggf. mit regionalem Bezug veröffentlicht werden. Zudem sollte ein frei gewordener und an die KV zurückgefallener Arztsitz anschließend unter Beachtung der Qualifikation der Bewerber auf Zeit vergeben werden, z.B. für 30 Jahre bei MVZ und BAG bzw. bis zur Beendigung der vertragsärztlichen Tätigkeit bei einzelnen Ärzten.