Arbeitsverbot nach Praxiseinstieg – Widerspruch des Mitbewerbers auf Vetragsarztsitz bedenken

Gesundheitspolitik Autor: RA Rainer Kuhlen

Es wird kritisch, sobald es mehr Bewerber als freie Zulassungen im ­geöffneten Planungsbereich gibt. Es wird kritisch, sobald es mehr Bewerber als freie Zulassungen im ­geöffneten Planungsbereich gibt. © iStock/LattaPictures

Wer sich auf einen Vertragsarztsitz bewirbt, sollte prüfen, ob er neben der Zulassung zugleich den Sofortvollzug beantragt, rät Rechtsanwalt Rainer Kuhlen. Denn wer eine Anstellung kündigt und kostenträchtige Verträge abschließt, will ja sicherstellen, dass er sein Honorar erhält.

Ärzte und Psychotherapeuten, die sich in einem offenen Planungsgebiet niederlassen möchten, müssen kein Nachbesetzungsverfahren abwarten, um eine Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung zu erhalten. Sie können direkt eine neue Praxis gründen, in eine Gemeinschaftspraxis einsteigen oder eine alte übernehmen. Diese glückliche Situation kann aber getrübt werden, wenn gleichzeitig weitere Bewerber versuchen, eine Zulassung zu erhalten.

Das Vorgehen bei der Öffnung eines Planungsbereichs sieht so aus: Der Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen hat von Amts wegen zu prüfen, ob in einer Region eine ärztliche Unterversorgung besteht oder droht. Von einer Unterversorgung, die zur Öffnung eines Bereichs führt, spricht man, wenn der Grad der hausärztlichen Versorgung unter 75 % liegt bzw. unter 50 % bei der allgemeinen und spezialisierten fachärztlichen Betreuung. § 26 Abs. 1 Bedarfsplanungs-Richtlinie enthält Auflagen, wie viele Zulassungen erfolgen dürfen, bis für die Arztgruppe wieder eine Überversorgung eingetreten ist.

Problematisch sind die Fälle, in denen nach Öffnung des Planungsbereichs die Bewerberzahl deutlich höher ist als die Zahl der zu vergebenden Zulassungen. Unter Umständen existenzbedrohend kann es werden, wenn dem Antrag eines Arztes auf Zulassung zur vertragsärztlichen Tätigkeit im offenen Planungsbereich stattgegeben wird, ein übergangener Bewerber gegen diesen Beschluss aber Widerspruch erhebt.

Denn ein solcher Widerspruch hat „aufschiebende Wirkung“. Dies bedeutet: Er führt dazu, dass aus dem Verwaltungsakt (der erteilten Zulassung) während des Schwebe­zustandes (der Zeit, bis über den Widerspruch entschieden wird) keine Folgerungen gezogen werden dürfen. Konkret heißt das: Der zugelassene Vertragsarzt darf ab Kenntnis der Widerspruchseinlegung eines übergangenen Bewerbers von seiner Zulassung keinen Gebrauch mehr machen, also nicht mehr ärztlich tätig werden.

Der positiv beschiedene Arzt sollte also – wenn er einen bestehenden Arbeitsvertrag zugunsten seiner Niederlassung kündigen will – im Blick haben, dass sich seine selbstständige Tätigkeit ggf. auf unbestimmte Zeit verzögern kann. Wenn möglich, sollte dies bei den Verhandlungen mit dem bisherigen Arbeitgeber berücksichtigt werden.

Auch für zu schließende Mietverträge, Anstellungen von Mitarbeitern, Erwerb oder Leasing von Geräten spielt diese Problematik eine Rolle. Denn wenn Miete, Gehälter und Gerätschaften ohne tatsächliche Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit zu bezahlen sind, kann das existenzbedrohend werden.

Geschützt werden kann ein Arzt, der solche Verträge abschließen und seine bisherige Tätigkeit aufgeben muss, – zumindest eingeschränkt – dadurch, dass er mit seinem Antrag auf Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung gleichzeitig einen Antrag auf Anordnung des Sofortvollzugs beim Zulassungsausschuss stellt.

Widerspruch ohne aufschiebende Wirkung

Soweit der Zulassungsausschuss dem Antrag auf Sofortvollzug stattgibt, entfaltet ein möglicherweise von einem übergangenen Bewerber erhobener Widerspruch ausnahmsweise keine aufschiebende Wirkung. Für den zugelassenen Arzt wäre damit vorübergehend etwas Planungssicherheit gewonnen.

Das Bundessozialgericht hat in einer Entscheidung vom 5. Juni 2013 (Az.: B 6 KA 4/13 B) klargestellt, dass nicht nur der in § 97 Abs. 4 SGB V erwähnte Berufungsausschuss den Sofortvollzug seiner Entscheidung anordnen kann, sondern dieses Recht auch dem Zulassungsausschuss zusteht.

Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass das Bundessozialgericht auch für den Fortlauf des Verfahrens Klarheit geschaffen hatte. Denn sofern der Zulassungsausschuss den Sofortvollzug des Zulassungsbescheides anordnet, kann eine im schlimmsten Fall später entschiedene Aufhebung der positiven Zulassungsentscheidung durch den Berufungsausschuss oder das Sozialgericht nur zum Ende der aufschiebenden Wirkung „ex nunc“ wirken. Dies bedeutet, dass der zunächst vom Zulassungsausschuss zugelassene Arzt seine Vergütungsansprüche behält, bis dessen Zulassung später durch eine abweichende Entscheidung „kassiert“ wird.

Nachfolger kann als Vertretung einspringen

Sollte also der für einen zunächst positiv beschiedenen Arzt schlimms­te Fall eintreten, dass dem Widerspruch bzw. der Klage des übergangenen Bewerbers stattgegeben wird, wäre zwar nicht zu verhindern, dass der Arzt nachträglich seine Tätigkeit doch wieder aufgeben muss, weil er seine Zulassung wieder verliert. Durch die Beantragung des Sofortvollzugs wäre aber zumindest in der Übergangszeit sichergestellt, dass bereits erzielte Honorare nicht zurückgezahlt werden müssen.

Die Möglichkeit der Anordnung des Sofortvollzugs durch den Zulassungsausschuss besteht natürlich auch im klassischen Nachbesetzungsverfahren eines Vertragsarztsitzes in einem gesperrten Gebiet. Hier besteht aber die Besonderheit, dass der abgebende Arzt bei einem Widerspruch eines übergangenen Bewerbers auf seinem (ehemaligen) Vertragsarztsitz weiterhin tätig sein kann. Der Widerspruch bewirkt nur eine vorübergehende Unwirksamkeit der Nachbesetzungsentscheidung, bis eine bestands- bzw. rechtskräftige Entscheidung getroffen wurde. In einem solchen Fall ist es auch möglich, dass der vom Zulassungsausschuss zugelassene Nachfolger als zeitlich begrenzter Vertreter des abgebenden Arztes tätig wird.

Gastbeitrag

Rainer Kuhlen, Fachanwalt für Medizinrecht, Vellmar Rainer Kuhlen, Fachanwalt für Medizinrecht, Vellmar © Privat