KV: Neue Niederlassungsmöglichkeiten durch geänderte Bedarfsplanung

Niederlassung und Kooperation Autor: Isabel Aulehla

Kern der Reform ist eine neue Berechnung
der Verhältniszahlen, also der Zahl der Einwohner, die ein Arzt durchschnittlich versorgt. Kern der Reform ist eine neue Berechnung der Verhältniszahlen, also der Zahl der Einwohner, die ein Arzt durchschnittlich versorgt. © iStock/RoBeDeRo

Infolge der neuen Bedarfsplanung können sich selbst in Ballungsgebieten weitere Hausärzte niederlassen. Auf dem Land rechnen die KVen mit weniger Interesse.

Von der Reform der Bedarfsplanung 2019 sollten laut G-BA vor allem Bundesländer mit wenigen Ballungsräumen und vielen ländlichen Gebieten profitieren. Was das konkret für gesperrte und geöffnete Zulassungsbezirke bedeutet, wird sich in den kommenden Wochen zeigen. Dann werden die KVen veröffentlichen, wie viele neue Niederlassungsmöglichkeiten in ihrem Gebiet entstehen. Sie hatten nach Inkrafttreten der Reform im Juli 2019 sechs Monate Zeit, um die neuen Zahlen zu berechnen und in den Landesausschüssen zu beschließen. Bislang gab es in den meisten KV-Bezirken nur Schätzungen.

Arztsitze helfen nicht, wenn sich niemand darauf bewirbt

Schon jetzt zeichnet sich ab: Selbst in Ballungsräumen wie dem Ruhrgebiet oder Berlin können sich weitere Mediziner niederlassen. Auch auf dem Land entstehen zahlreiche neue Niederlassungsmöglichkeiten. Die KV Bayerns betont jedoch, dass neue Sitze nicht zwangsläufig neue Ärzte bedeuten. Gerade im ländlichen Raum sei es schwierig, Mediziner für die Niederlassung zu gewinnen. Die übrigen KVen teilen diese Einschätzung. Sie hoffen, dass ihre Fördermittel – etwa Hausarztstipendien, Strukturfonds oder Anschubfinanzierungen – ärztlichen Nachwuchs auf das Land locken können. Zusätzlich fordern sie die Landesregierungen auf, an den politischen Stellschrauben zu drehen. So wünscht sich die Vertreterversammlung der KV Thüringen weitere Medizinstudienplätze, andere KVen appellieren an die Politik, die Standortbedingungen in ländlichen Regionen zu verbessern.

Große Verärgerung herrscht bei KVen darüber, dass die neuen Niederlassungen nicht refinanziert werden: Die Krankenkassen müssen keine zusätzlichen Mittel für die Leistungen bereitstellen, die Ärzte erbringen, die sich infolge der Reform niederlassen. „Es kann nicht sein, dass die im System tätigen Ärzte die neuen Kollegen bezahlen“, kritisierte Mark Barjenbruch, Vorsitzender der KV Niedersachen.

Sehr skeptisch stehen die KVen auch einer Regelung des Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG) gegenüber, die der G-BA in der Reform umsetzte: Die Gesundheitsministerien der Länder können Sperren für Neuzulassungen in strukturschwachen Gebieten aufheben. Viele KVen interpretieren diese Entscheidung als Eingriff in die Souveränität der gemeinsamen Selbstverwaltung auf Landesebene.

Inwiefern die Landesbehörden ihr neues Recht nutzen, bleibt abzuwarten. Zum einen müssen die Gesundheitsministerien zunächst die nötigen internen Strukturen schaffen, um sich mit Fragen der Bedarfsplanung befassen zu können, gibt die KV Niedersachsen zu bedenken. Zum anderen hänge es davon ab, wie gemeinsame Selbstverwaltung und Ministerien prinzipiell zusammenarbeiten, meint die KV Thüringen. Im Freistaat signalisiere die Politik bislang nicht, dass sie vorhabe, in die Bedarfsplanung einzugreifen.

Vorläufige Angaben der KVen zur Zahl der neuen Arztsitze
KV-Bezirk
zusätzliche Hausarzt-Sitze
zusätzliche Arztsitze gesamt
Baden-Württemberg0266,9
Bayern144467,5
Berlin62,596
Bremen1,515
Hessen65,5121
Niedersachsen110310
Nordrhein142352
Rheinland-Pfalz262,5430,5
Saarland43,582,5
Schleswig-Holstein42,5121,5
Westfalen-Lippe83*67
In die Gesamtzahl der neuen Sitze sind jene für Psychotherapeuten miteingerechnet. In einigen KV-Bezirken ist die endgültige Zahl der neuen Sitze noch nicht beschlossen.
*In Westfalen-Lippe stehen die 83 neuen Hausarzt-Sitze aktuell nicht zur Verfügung.

Wichtigste Neuerung betrifft Verhältniszahlen

Der G-BA geht davon aus, dass die Neuerungen bundesweit insgesamt 3470 neue Niederlassungsmöglichkeiten schaffen, 1446 davon entfallen auf Hausärzte. Rechnet man alle derzeit unbesetzten Arztsitze hinzu, ergibt das rund 7000 freie Arztsitze, etwa 4000 davon bestehen im haus­ärztlichen Bereich. Kern der Reform ist eine neue Berechnung der Verhältniszahlen, also der Zahl der Einwohner, die ein Arzt durchschnittlich versorgt. Für diesen Wert wird weiterhin ein bundesweiter Maßstab gebildet, differenziert nach Arztgruppe und Planungsbereich. Diese „Basis-Verhältniszahl“ wird nun in einem zweistufigen Verfahren an regionale Gegebenheiten angepasst. Berücksichtigt werden das Alter der Einwohner, das Geschlecht sowie die Zahl der dokumentierten Krankheiten nach Alter und Geschlecht. Die resultierende „regionale Verhältniszahl“ gibt an, ob in einem Planungsbereich mehr oder weniger Ärzte benötigt werden als im Bundesdurchschnitt.

Baden-Württemberg verliert durch Reform Hausarzt-Sitze

Doch die neuen Verhältniszahlen verbessern die Versorgung nicht zwangsläufig. Die KV Baden-Würt­temberg hat unter spezieller Berücksichtigung der Hausarztzentrierten Versorgung 29 Hausarzt-Sitze verloren. Hätte sie die Reform stur umgesetzt, wäre der Verlust erheblich größer gewesen, teilt sie mit. Die KV Westfalen-Lippe erklärt, dass die 83 neu entstandenen Hausarztsitze vorerst nicht verfügbar sind, da noch eine zeitlich befristete Sperrung ab einem Versorgungsgrad von 100 (statt 110) % besteht. So sollen neue Hausärzte zunächst in Bezirke gelenkt werden, wo der Versorgungsgrad noch unter 100 % liegt. Für viele Arztgruppen wurde die Basis-Verhältniszahl gesenkt. So ist ein Hausarzt rechnerisch nur noch für 1609 Einwohner zuständig. Bisher waren es 1671. Künftig wird der Wert alle zwei Jahre an die demografische Entwicklung angepasst. Die Verteilung einiger Fachärzte wird durch Mindestquoten geregelt, so etwa die der Neurologen und Psychiater. Auch für fachärztlich tätige Internisten gelten Mindest- und Maxi­malquoten. Beispielsweise sollen 8 % von ihnen Rheumatologen sein. Ziel der Reform war es, die Niederlassungsmöglichkeiten differenzierter an die Lage in den Regionen anzupassen. Dafür haben auch die Gremien auf Landesebene mehr Gestaltungsspielraum bekommen. Damit wird ein Kurs der Feinjustierung fortgesetzt, den der G-BA bereits 2012 einschlug.

Medical-Tribune-Bericht