Religiöser Apotheker verweigert Kundinnen die „Pille danach“ – Berufsgericht verteidigt Glaubensfreiheit
Wer zu nächtlicher Stunde in eine Notdienst-Apotheke eilt, um die „Pille danach“ zu kaufen, ist nicht sonderlich zum Diskutieren aufgelegt. Wenn der Apotheker sich dann weigert, das Präparat herauszugeben, auf das Hilfetelefon für Schwangere verweist und für eine natürliche Familienplanung wirbt, ist das für Kundinnen belastend. Eine Beschwerde bei der Apothekerkammer und ein Gerichtsverfahren lassen nicht lange auf sich warten.
Was abenteuerlich klingt, hat sich ähnlich in Berlin ereignet. Das Überraschende: Das Berufsgericht für Heilberufe gab dem Apotheker Recht. Er muss die „Pille danach“ nicht lagern oder verkaufen, wenn es gegen sein Gewissen verstößt. Rechtskräftig ist dieses Urteil allerdings noch nicht, die Apothekerkammer Berlin hat Berufung eingelegt.
Nach Meinung des Apothekers tötet die „Pille danach“ ungeborenes Leben, indem sie verhindert, dass sich die befruchtete Eizelle in die Gebärmutter einnistet. Mit seinem Glauben sei das nicht zu vereinbaren. Er lagerte entsprechende Arzneimittel daher gar nicht erst und konnte sie selbst im Notdienst nicht herausgeben. Kunden, die die Antibabypille bei ihm kauften, händigte er selbstverfasste Schreiben aus, in denen er über die Wirkung informierte und für die Bereitschaft warb, Kinder zu bekommen.
Im Fall eines Mannes, der das Rezept seiner Freundin einlöste, griff der Beschuldigte zu noch drastischeren Maßnahmen: Da der Kunde den Zettel nicht mitnehmen wollte, sendete er ihn an die auf dem Rezept angegebene Adresse der Freundin – mit der handschriftlichen Notiz, er habe das Schreiben „nicht an den Mann“ bringen können.
Apothekerkammer sieht diverse Gesetzesverstöße
Die Apothekerkammer Berlin zeigt wenig Verständnis für die religiöse Informationskampagne ihres Mitglieds. Sie brachte den Fall vor Gericht. Würde jeder Apotheker selbst entscheiden, in welchem Umfang er den Versorgungsauftrag erfüllt, sei die Versorgung nicht mehr gewährleistet, argumentierte sie. Der Staat würde Apothekern besondere Pflichten auferlegen, von deren Befolgung das Gewissen nicht entbinde. Über diese Pflichten hätte der Beschuldigte sich vor der Wahl seines Berufes informieren und den Gewissenskonflikt somit umgehen können. Außerdem sei er dazu verpflichtet, professionell und sachlich mit Kunden umzugehen. Seine persönliche Meinung habe dahinter zurückzutreten.
Das Berufsgericht Berlin entkräftete die Argumente der Kammer. Es sieht keine grundsätzliche Abgabeverpflichtung für Apotheken. Dass Gewissenskonflikte sich erst im Laufe des Lebens entwickeln, könne man dem Beschuldigten nicht vorwerfen.
Die Hinweiszettel des Apothekers betrachtetet das Gericht als „bloße Lästigkeit“, der sich Betroffene hätten entziehen können, indem sie die Apotheke verlassen, die Schreiben wegwerfen oder deren Annahme gleich verweigern. Für den datenschutzwidrigen Umgang mit den Adressen der Patienten verwarnte es den Apotheker jedoch. Die Richter stellten zudem klar, dass die im Grundgesetz verankerte Glaubensfreiheit nicht nur für den Angeklagten, sondern auch für Kunden gilt. Der Apotheker müsse es akzeptieren, wenn jemand anderer Auffassung ist als er. Andererseits hätten Kunden auch kein Recht darauf, nicht mit fremden Glaubensbekundungen konfrontiert zu werden.
Dem Angeklagten kam zugute, dass in Berlin regelmäßig 30 Apotheken im Notdienst sind, auch nahe seiner eigenen. Keine der Kundinnen, der er die „Pille danach“ verweigerte, war auf seine Apotheke angewiesen. Der Angeklagte ist mittlerweile im Ruhestand.
Quelle: Urteil des Berufsgericht für Heilberufe bei dem Verwaltungsgericht Berlin vom 26.11.2019, Az: VG 90 K 13.18 T