ResearchGate: Arzt fordert Verlage mit „Facebook der Wissenschaft“ heraus
Wenn Ijad Madisch ins Büro kommt, so schaut er im Foyer auf Fotos von Dr. Angela Merkel und Bill Gates. Sie wurden geknipst, als diese ihn in seinem Unternehmen in Berlin-Mitte besuchten. Beide machten ihm vor Jahren die Aufwartung, Merkel als an dem vom Madisch aufgebauten ResearchGate interessierte Regierungschefin, Gates als milliardenschwerer Investor. Gut möglich, dass Madisch derzeit öfter auf diese Bilder schaut, schlicht um sich zu vergewissern, wer ihm schon alles den Rücken gestärkt hat. Denn Rückgrat braucht Madisch gerade: Schließlich ist er der Lieblingsfeind einer Allianz aus einigen der größten Wissenschaftsverlage der Welt.
2008 gründete Madisch, damals 28 Jahre, zusammen mit zwei Freunden ResearchGate. Ziel: Wissenschaftler weltweit miteinander zu vernetzen, indem sie nicht nur ihre Studien, sondern auch sämtliche Zwischenschritte dahin für alle ResearchGate-Mitglieder frei zugänglich machen. Heute hat ResearchGate 14 Millionen Mitglieder in insgesamt 193 Ländern, mit mehr als hundert Millionen veröffentlichten Dokumenten.
„Hier wird fremdes Eigentum illegal zu Geld gemacht“
Einige Verlage sehen in ResearchGate allerdings kein „Facebook der Wissenschaft“, wie es gerne mal genannt wird, sondern ein Netzwerk, auf dem copyrightgeschützte Inhalte angeboten werden. „Hier wird fremdes Eigentum illegal zu Geld gemacht“, sagt Jim Milne. Er ist Sprecher der Coalition for Responsible Sharing (CFRS), einem Zusammenschluss von Großverlagen, darunter Elsevier und Wolters Kluwer. Mittlerweile haben sich neun weitere Häuser angeschlossen.
1980 kam Madisch als Sohn syrischer Einwanderer in Wolfsburg zur Welt, später studierte er Medizin in Hannover und promovierte in der Virologie. Doch anstelle einer Arztkarriere entschied er sich vor zehn Jahren dazu, zusammen mit dem Arzt Sören Hofmayer und dem Informatiker Horst Fickenscher alle Kraft in den Aufbau von ResearchGate zu stecken.
Er begeisterte als Gesicht des Unternehmens sehr schnell eine Handvoll einflussreicher Geldgeber aus dem Silicon Valley, die inzwischen an die hundert Millionen Dollar investiert haben. Ein bunter Haufen, dem neben Bill Gates auch Matt Cohler, einer der einflussreichsten Investoren der USA, angehört, außerdem PayPal-Gründer Peter Thiel und der Schauspieler Ashton Kutcher.
Alle drei Wochen 2,5 Millionen Publikationen und Datensätze
Schwarze Zahlen schreibt ResearchGate mit seinen 300 Mitarbeitern allerdings auch im zehnten Jahr seit der Gründung noch nicht. Der Unternehmer plant das zu ändern. „Wir wollen nicht wie andere Startup-Gründer das Unternehmen verkaufen, um einen kurzfristigen Gewinn zu erzielen“, stellt er klar. Einnahmen erzielt ResearchGate unter anderem vor allem mit Stellenanzeigen und Werbung, darunter auch von Herstellern medizinischer Geräte.
Seit dem Start hat ResearchGate die Zahl seiner Mitglieder versiebzigfacht. „2,5 Millionen Publikationen und Datensätze wurden in den ersten fünf Jahren hochgeladen, jetzt geschieht das alle drei Wochen“, sagt Madisch.
Und genau hier sieht die CFRS das Problem. Sprecher Milne geht davon aus, dass von den schätzungsweise 40 Millionen wissenschaftlichen Aufsätzen, die die Mitglieder bei ResearchGate derzeit online gestellt haben, rund 2,1 Millionen zuvor in Zeitschriften der in der CFRS zusammengefassten Verlage erschienen sind, diese also die Rechte daran halten.
„Wir können uns gut vorstellen, mit ResearchGate zusammenzuarbeiten“, betont Milne. „Vorausgesetzt, sie halten sich an die allgemein anerkannten Regeln.“ Dazu gehöre es vor allem, urheberrechtlich geschützte Publikationen aus dem Netzwerk zu nehmen und das Hochladen neuer zu verhindern. Eine Einigung ist bisher nicht in Sicht, auch wenn ResearchGate sich Ende letzten Jahres zu Konzessionen bereit erklärte: Seitdem sind urheberrechtlich geschützte Publikationen der CFRS-Verlage nicht mehr ohne Weiteres im Internet abrufbar, sondern müssen von Interessenten direkt bei den Autoren angefordert werden.
Madisch sieht die Auseinandersetzung mit der CFRS „sportlich, ich bin ja ein großer Fan des Leistungssports“. Konzentrieren wolle er sich nun aber auf den Ausbau des Unternehmens, was vor allem heißen soll, den Nutzwert für Wissenschaftler zu erhöhen.
Vernetzung der physischen mit der digitalen Welt
„Ich sehe für uns im Internet der Dinge großes Potenzial“, also in der„Vernetzung der physischen mit der digitalen Welt“. Als Beispiel nennt er Labore, die meist technisch hochgerüstet seien, deren einzelne Bestandteile aber noch nicht miteinander kommunizieren. Unmengen nützlicher Daten für die medizinische Forschung könnten dabei gewonnen werden, sagt der Startup-Gründer. „Das ist ein Feld, in dem wir uns engagieren könnten.“
Auch von möglichen Systemen Künstlicher Intelligenz, die den Datenschatz von ResearchGate selbstständig auswerten, schwärmt Madisch. ResearchGate würde damit nicht nur wissenschaftlichen Austausch ermöglichen, sondern selbst Wissen produzieren. „In der Wissenschaft wird in den nächsten Jahren so vieles passieren, was wir uns jetzt noch gar nicht vorstellen können“, sagt Madisch. „Dort will ich mit ResearchGate hin.“