Todesfälle im Seniorenheim: Arzt und Pflegeverantwortliche sollen nötige medizinische Versorgung vorenthalten haben
Eingebettet in eine Traumkulisse liegt ein Seniorenheim im unterfränkischen Landkreis Haßberge, das sich mit dem Namen „Schlossresidenz“ schmückt. Doch grausame Vorfälle sollen sich dort seit 2014 abgespielt haben. Fünf Heimbewohner im Alter von 74 bis 86 Jahren sollen nach dubiosen Ereignissen vorzeitig ums Leben gekommen sein. Die mutmaßlich Verantwortlichen dafür: die 59-jährige Geschäftsführerin der Einrichtung, ein 49-jähriger Pflegedienstleiter und ein 70-jähriger Hausarzt.
Seit Mitte Juli müssen sie sich vor dem Landgericht Bamberg verantworten. Die Vorwürfe lauten unter anderem Totschlag durch Unterlassen und Misshandlung von Schutzbefohlenen. Der Hausarzt wird der „mittelbaren Falschbeurkundung in drei Fällen“ bezichtigt.
Die Staatsanwaltschaft wirft den dreien vor, sorglos und selbstherrlich gehandelt und sich zu „Herren über Leben und Tod“ aufgeschwungen zu haben. Der Hausarzt habe vorsätzlich auf ausführliche Befunde verzichtet und nicht nachvollziehbare Todesursachen formell bestätigt. Oftmals seien keine oder wenig wirksame Schmerzmittel gegeben worden. Bei einer richtigen und rechtzeitigen Behandlung, einschließlich Klinikeinweisungen, hätten einige Opfer wohl überlebt, so Oberstaatsanwalt Otto Heyder.
Die Heimleiterin soll Mitgesellschafter des Seniorenwohnheims gewesen sein. Der angeklagte Hausarzt habe auf Honorarbasis gearbeitet, heißt es, mit der Vorgabe im Arbeitsvertrag: „ambulant vor stationär“. Bereits 2003 soll die Pflegeführungsriege, das Personal angewiesen haben, auch im Notfall keinen anderen Arzt zu rufen, ansonsten drohe die Kündigung.
Im August 2014 soll der Mediziner einen 81-jährigen Heimbewohner trotz akuter Lungenentzündung nicht in eine Klinik eingewiesen, sondern lediglich dokumentiert haben: „Ich denke der hat eine Pneumonie.“ Den Tod des Bewohners habe der Arzt als natürlich attestiert.
„Es ist ihm ein Stück vom Finger weggefallen, shit“
Ein weiterer Vorwurf lautet, einem 74-jährigen Heimbewohner sei eine Spritze „unbekannten Inhalts“ verabreicht worden. Der Hausarzt habe nach dem Versterben eine medizinisch nicht nachvollziehbare Lungenembolie in den Totenschein geschrieben.
2016 – kurz vor Auffliegen der Missstände – soll sich bei einem 86-jährigen Bewohner aufgrund Dekubiti an den Fingern der Gesundheitszustand dramatisch verschlechtert haben. Lindernde Schmerzmittel wurden ihm angeblich verweigert. Die Kommunikation der Angeklagten via Handy: „Es ist ihm ein Stück vom Finger weggefallen, shit.“ Weitere Anweisungen im Text: „Lasst ihn in Ruhe sterben. Schöne Musik, entspannte Lage.“
Einem Heimbewohner sollen die beiden Pflegekräfte das Fernsehschauen mit einem Kinnhaken und dem Kommentar untersagt haben: „Halt die Fresse und schlaf!“
Die drei Angeklagten verweigerten zum Prozessauftakt die Aussage. Eine kurze Einlassung machte nur der Anwalt der Heimleiterin. Er kritisierte, die Staatsanwaltschaft habe mit den Schilderungen in der Anklage eine mutmaßliche Tatsache, wie etwa „Zu Herren über Leben und Tod gemacht“, erfunden. Den Strafakten sei das nicht zu entnehmen. Seine Mandantin werde sich nach dem Prozess „beruflich anders orientieren“. Der Anwalt macht auch auf die schwierige Situation in der Residenz aufmerksam. Dort würden neben alten pflegebedürftigen Menschen junge alkoholkranke Demente leben.
Hintergrund: Die Einrichtung war nach Beginn der Ermittlungen Anfang 2019 geschlossen worden. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hob diese Entscheidung jedoch wieder auf. Die Seniorenresidenz wird heute unter neuer Heimleitung fortgeführt. Nur der Hausarzt musste nicht in Untersuchungshaft. Alle sind nun wieder auf freien Fuß. Für den Prozess sind 27 Verhandlungstage angesetzt, 43 Zeugen sollen gehört werden. Ein Urteil ist für Januar 2020 geplant.
Medical-Tribune-Bericht