Tötung auf Verlangen durch Unterlassen – geht das?
Zwei Ärzte, zwei Landgerichte (LG), zwei Freisprüche. Sowohl Hamburg wie auch Berlin haben in der nahen Vergangenheit jeweils einen Arzt freigesprochen vom Vorwurf, sich durch Unterstützung von Selbsttötungen sowie das Unterlassen von Maßnahmen zur Rettung der bewusstlosen Suizidentinnen wegen Tötungsdelikten strafbar gemacht zu haben. Die jeweiligen Staatsanwaltschaften haben Revision eingelegt. Jetzt soll der BGH Recht sprechen.
Zahlreiche Juristen bundesweit haben sich zu den Urteilen geäußert, auch mit Hinweis auf das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen. Deutlich wird angesichts hierbei herangezogener vorangegangener Urteile des Bundesgerichtshofes eine unterschiedliche Rechtsauslegung. Wie die Richter am Berliner Landgericht bemerkten, ist in Literatur und Rechtsprechung u.a. umstritten, ob eine Tötung auf Verlangen nach § 216 Abs. 1 StGB überhaupt durch Unterlassen nach § 13 Abs. 1 StGB begangen werden kann.
Zwei Achtzigjährige mit festem Suizidwunsch
Im Hamburger Fall litten zwei miteinander befreundete Frauen (85 und 81 Jahre) an mehreren nicht lebensbedrohlichen, aber ihre Lebensqualität und persönlichen Handlungsmöglichkeiten zunehmend einschränkenden Krankheiten. Die verwitweten und kinderlosen Damen baten den Verein Sterbehilfe Deutschland e.V. , ihren Freitod zu begleiten. Der Verein machte seine Hilfe vom Ausgang eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens zur Einsichts- und Urteilsfähigkeit der Frauen abhängig. Erstellt hat dieses Dr. Johann F. Spittler: Der Neurologe zweifelte nicht an Festigkeit und Wohlerwogenheit der Suizid-Wünsche. Im November 2012 war er dann beim Freitod der Seniorinnen anwesend, beobachtete die Einnahme der Medikamente – Metoclopramid, Chloroquin und Diazepam – und protokollierte den Sterbevorgang. Dem Wunsch der Frauen entsprechend unternahm er bei Eintritt der Bewusstlosigkeit keine Rettungsbemühungen.
Wegen des beachtlichen Willens der beiden Frauen und der Freiverantwortlichkeit ihrer Entscheidung für den Suizid sei der Arzt nicht verpflichtet gewesen, nach dem Eintritt ihrer Bewusstlosigkeit Rettungsmaßnahmen einzuleiten, urteilte der Große Strafsenat des Landgerichtes Hamburg. Er habe sich unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt strafbar gemacht. Ein Freispruch Dr. Spittlers erfolgte auch hinsichtlich der vorgeworfenen unerlaubten Überlassung von Betäubungsmitteln. Es habe nicht festgestellt werden können, dass er den beiden Frauen das Diazepam überlassen hatte. Zudem seien die für die Strafbarkeit vorausgesetzten Grenzwerte nicht überschritten gewesen.
13 Jahre lang war er ihr Arzt und ein Vertrauter geworden
Im Zentrum des Berliner Falles steht der Hausarzt Dr. Christoph Turowski, heute im Ruhestand. Er hatte seiner Patientin ein Medikament verschafft, nach dessen Einnahme diese im März 2013 verstarb. 13 Jahre lang hatte er die Frau behandelt und war für sie zu einem Vertrauten geworden.
Zusammenfassend beschreibt der BGH den Fall so: „Die 44-jährige Frau litt seit ihrem sechzehnten Lebensjahr an einer nicht lebensbedrohlichen, aber starke krampfartige Schmerzen verursachenden Erkrankung und hatte den Angeklagten um Hilfe beim Sterben gebeten. Nachdem sie die Medikamente eingenommen hatte, betreute der Angeklagte die Bewusstlose – wie von ihr gewünscht – während des zweieinhalb Tage dauernden Sterbens. Auf Rettung ihres Lebens gerichtete Hilfe leistete er nicht.“ (wir berichteten)
„Tötung auf Verlangen und unterlassene Hilfeleistung: Unterlassung von Rettungsbemühungen bei freiverantwortlichem Suizid“, so lautete der Tatvorwurf. „Der Angeklagte wird freigesprochen“, urteilte später die 2. Große Strafkammer. Die Richter sahen „lediglich eine nach dem Willen des Gesetzgebers straflose Beihilfe zur Selbsttötung“. Auch zur Anklage wegen Tötung auf Verlangen durch Unterlassen erfolgte Freispruch. Dazu heißt es im Urteil, der Arzt sei nicht zu Rettungsbemühungen verpflichtet gewesen.
Quellen: LG Hamburg, Urteil vom 8. November 2017, 619 KLs 7/16 und LG Berlin - Urteil vom 8. März 2018 – (502 KLs) 234 Js 339/13 (1/17)