Vogel? Hat doch jeder!
Charmant, ehrlich und vor allem realitätsnah berichtet die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin Lena Kuhlmann in ihrem neuen Buch „Psyche? Hat doch jeder!“ über ihren Therapeuten-Alltag. Ihr größtes Anliegen: Die Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen.
Kuhlmann weiß, dass nicht jeder Patient, der sich eingesteht, dass er Hilfe benötigt, auch gleich einen passenden Therapieplatz bekommt. Für die Zeit, in der man auf einen solchen wartet, rät die Buchautorin zu Alternativen wie z.B. Onlinehilfen oder Apps.
So seien die Apps „Headspace“ für Meditationsübungen und „Skills2go für Borderliner“ für Patienten, die nach Ablenkungstricks suchten, gut als Übungen zur Überbrückung geeignet. Eine Onlinetherapie am heimischen PC kann laut Kuhlmann beispielsweise auch für die alleinerziehende Mutter, den ängstlichen Patienten oder bei Sprachbarrieren von Vorteil sein.
Vorsicht bei Therapien von Heilpraktikern
Praktiken wie die von Coaches und Heilpraktikern sollten hingegen nur mit Vorsicht in Betracht gezogen werden. Zwar würden viele Coachings gängige Elemente der Psychologie und Psychotherapie enthalten, eine wissenschaftlich fundierte Lehre gebe es allerdings nicht. „Coach kann sich jeder nennen“, resümiert die Therapeutin. Auch umfasse die Ausbildung eines Heilpraktikers weder Supervision oder Selbsterfahrung noch schreibe sie Praxiserfahrung vor. Zudem müssten keine wissenschaftlichen Verfahren angewendet werden, gibt Kuhlmann weiter zu bedenken.
In ihrem Buch erhält der Leser zudem Einblicke in bizarre Alltags-Fälle. So tauchte zum Beispiel in der Notsprechstunde eine junge, dem Anschein nach gesunde Frau bei der Psychotherapeutin auf. Das wunderte Kuhlmann, da die zuständige Hausärztin sie um eine umgehende psychiatrische Vorstellung bat. Die Patientin war freundlich, gepflegt und hatte keine Suizidgedanken. Es gehe ihr gut, sagte sie. Nur manchmal sei der gelbe Vogel auf ihrer linken Schulter etwas schwer. Oft zwitschere er so laut, dass sie ihr Gegenüber fast nicht verstehe. Je skurriler der Fall, desto ernster meist der Hintergrund. Mit viel Fingerspitzengefühl, Einfühlungsvermögen und reichlich Erfahrung gehe man solche Situationen an, erklärt Kuhlmann. Optische und akustische Wahnvorstellungen wie im Beispiel geschildert, seien deshalb immer ein Grund für eine akute Vorstellung in der Psychiatrie.
„Erste-Hilfe-Kurs“ für psychische Krisen
Für die Zukunft wünscht sich die 1985 geborene Therapeutin zum einen mehr Therapieplätze und stationäre Betten, um die Wartezeiten auf eine Behandlung zu verringern. Zum anderen hält sie „Erste-Hilfe-Kurse“ für psychische Krisen für sinnvoll. „In der Schule macht man einen Erste-Hilfe-Kurs, aber wie man mit einem Selbstmordgefährdeten umgeht, lernt man nicht“, betont sie. Weiter würde sie sich wünschen „dass der Besuch eines Therapeuten so normal sein wird, wie die Kontrolluntersuchung beim Zahnarzt“.