Leichen im Rollkoffer, nächtliche Stürze und von Hunden Gejagte – alles echt
Prof. Tsokos, Direktor des Instituts für Rechtsmedizin der Berliner Charité und nebenberuflich Autor, will den Leser „über Fälle aus seiner rechtsmedizinischen Praxis an Leichenfundorte, in den Sektionssaal, ins Labor und in den Gerichtssaal mitnehmen“. Er kündigt Informationen aus erster Hand an, basierend auf seinem Spezialwissen aus 25 Berufsjahren. An der Aufklärung und Untersuchung aller Fälle war der Forensikexperte in der einen oder anderen Form selbst beteiligt.
Im Vorwort schreibt er von Einblicken in die Abgründe unserer Gesellschaft: „In früherer Zeit waren das Giftmorde von Frauen an ihren ungeliebten Ehemännern, Leuchtgasvergiftungen oder Methanolintoxikationen von Schnapsbrennern; später kamen dann die Junkies, Schnüffler, Bodypacker, Crash-Kids oder S-Bahn-Surfer. Heute sind es immer häufiger Todesfälle von Pflegepatienten, die an Rücken, Gesäß und Ellenbogen tiefe Krater, sogenannte ,Durchliegegeschwüre‘, aufweisen, oder Intensivpatienten, die von sogenannten ,Todesengeln‘ in Kliniken von ihren Leiden ,erlöst‘ wurden.“
Wie aus Politiker „Faxe“ ein Stalker und Mörder wurde
Prof. Tsokos ist mit seinem neuen Buch unerwartet aktuell. Gaben doch erst kürzlich Oldenburger Ermittler bekannt, dass der Krankenpfleger Niels H. – der bereits wegen sechs Tötungsfällen in Haft sitzt – für den Tod von weit mehr Patienten verantwortlich ist als bisher bekannt. Für Prof. Tsokos zeigt die Monströsität dieses Falles eine unterschätzte Dunkelziffer bei Delikten dieser Art.
Zwölf Fälle beleuchtet der Mediziner in seinem neuen Buch. Darunter die Geschichte von „Faxe“, der im vergangenen Jahr für reichlich Schlagzeilen sorgte. Der aufgrund seiner Größe von über zwei Metern und seiner Latzhose bekannte Abgeordnete der Berliner Piraten-Partei hatte im vergangenen Jahr Jan Mirko L. – den von ihm schon länger gestalkten und sehnsüchtig „Wuschelkopf“ genannten ehemaligen Mitarbeiter, der auf sein Werben nicht eingegangen war – ermordet und dann im Rollkoffer und mittels Sackkarre und S-Bahn durch die Stadt transportiert.
Anhand der Geschichte des „kleinen Jungen, der bei vollem Bewusstsein und in größter Todesangst vor den Augen seiner hilflosen und verängstigten Mitschüler und Lehrer über mehr als zehn Minuten auf einem Spielplatz direkt neben seiner Schule von zwei Hunden zu Tode gehetzt und gebissen wurde“, beschreibt der Autor die Hintergründe für den Beschluss des Gesetzes zur Bekämpfung gefährlicher Hunde, das 2001 in Kraft trat.
Der Autor aus der Rechtsmedizin erzählt auch von dem tödlichen Sturz nachts von einem Baugerüst: Bis heute ist nicht geklärt, warum der lange unbekannte und später als Hendrik N. identifizierte 50-Jährige zu Tode kam. Auch dem tragischen Tod einer Frau im Sommer 2011 forscht er im Detail nach – „ein stilles Drama um eine Seniorin und ihren Enkelsohn, der die alte Dame zu Hause pflegt“. Dabei begleitet der Autor nicht nur die Ermittler virtuell an den Tatort, indem er u.a. aus Protokollen zitiert, er lässt die Leser auch an der Gerichtsverhandlung teilhaben, die – für alle außer für den Gutachter Prof. Tsokos selbst – mit einem überraschenden Urteil endete.
Jeder Fall ist sehr ausführlich beschrieben: Todesumstände, Ermittlungsverläufe, Lebensgeschichten von Tätern und Opfern. Es sind diese Einzelheiten und der präzise Blick auf die Hintergründe der Taten und Ermittlungen, die das Buch sehr spannend machen.
Enorme Faktenmenge – aber spannend
Der Autor vermittelt eine enorme Menge an Fakten, dennoch ist es kein Sachbuch. Es ist eine kurzweilige wie lehrreiche Lektüre für jedermann. Professor Tsokos versteht es dabei sehr gut, die Arbeit des Rechtsmediziners so einzubetten, dass sie nicht vordergründig erscheint. Er macht aber auch deutlich, dass die Rechtsmedizin bei Todesermittlungen ausschlaggebend dafür sein kann, Täter dingfest zu machen oder die Unschuld nachzuweisen. Empfehlenswert!
Michael Tsokos, Die Zeichen des Todes. Verlag Droemer HC. ISBN 978-3-426-27617-4. 352 Seiten, Preis Hardcover: 19,99 Euro