Was für eine Geldverschwendung!
Lesen bildet, dachte ich mir heute, und vertiefte mich in meine Lieblingszeitung. Schnell schweifte mein Blick nach Überlesen der Schlagzeilen (wir haben diverse Regierungs- und Immigrationsprobleme, Überraschung!) zum Leitartikel mit gesundheitlichem Inhalt: Der Deutsche bewegt sich zu wenig. Schau an, welch eine neue Erkenntnis! Dafür hätte die Deutsche Krankenversicherung wirklich keine Studie durchführen müssen.
„Nur 43 % der Befragten erreichen das Mindestmaß körperlicher Aktivität! 2010 waren es noch 60 %“, war eines der beklagenswerten Ergebnisse. Ich frage mich allerdings, ob diese Studie angemessen randomisiert wurde. So sind zum Beispiel diejenigen, die auf dem Sofa oder vor dem Fernseher sitzend den Umfrageanruf ignoriert haben, in diese Untersuchung gar nicht eingegangen. Die Lage ist also vermutlich noch viel schlimmer.
Erstaunlich, weil doch gefühlt jeder Dritte mit einer Smartwatch oder einem Fitnesstracker herumläuft! Was machen die damit? „Hmm, schon wieder nur 1000 Schritte gelaufen heute, dann muss ich doch noch einmal mehr zum Kühlschrank, um mir ein Bier zu holen?“ Das nun wieder ist eine ausgesprochen zynische Bemerkung, für die ich mich gleich entschuldigen muss, weil nach der besagten Studie 82 % der Befragten gar keinen oder nur gelegentlich Alkohol trinken.
Beinahe hätte ich mich an meinem Bier verschluckt. Wie ist das denn möglich? Gut, ich lebe im schönen Sauerland, wo mit Veltins, Krombacher und Warsteiner gleich drei richtig gute Biere gebraut werden. Da gehört, ebenso wie im Bayerischen, das Bier zu den Grundnahrungsmitteln. Wird es vielleicht gar nicht als Alkohol wahrgenommen? Man konsumiert es nicht nur ausufernd und gern zu den allgegenwärtigen Schützenfesten, sondern auch zur Entspannung am Abend, beim Feiern, beim Grillen, nach dem Sport … Also eigentlich immer, außer vielleicht morgens.
„Ich trinke keinen Alkohol“, hat man mir treuherzig schon in der Praxis versichert. Nach skeptischer Nachfrage kam dann mit etwas Verspätung: „Bier schon, aber keinen Schnaps.“ Nun weiß ich aus Erfahrung, dass es im Norden köstlichen Schnaps und im Süden ebenso köstlichen Wein gibt, und dass man sich in beiden Landesteilen gerne daran erfreut (obendrein wird in Lübeck auch Wein und in Freiburg auch Bier konsumiert, und ja, im Sauerland gibt es guten Schnaps). Wo waren all die Konsumenten bei dieser Umfrage?
Vielleicht liegt die Auflösung dieses Mysteriums im Wort „gelegentlich“? Gelegenheit hat man eigentlich immer – wie schon erwähnt beim Schützenfest, zur Entspannung am Abend, beim Feiern, beim Grillen, nach dem Sport … Schon gut. Es ist daher durchaus möglich, dass viele der Befragten eben doch jeden Tag diverse Drinks konsumieren – und die Studie den Aufwand und die dafür verwendeten Versichertengelder nicht wert ist.
Skeptisch stimmt mich, dass der Alkoholkonsum nach dieser Studie mit dem Einkommen steigen soll. Plötzlich scheint es mir ein Vorteil zu sein, dass wir Allgemeinärzte/innen nicht zu den Großverdienern unserer Zunft gehören. Vielleicht sollten wir gar nicht um höhere Punktwerte kämpfen oder uns sogar über drohende Regresse freuen, weil mit bescheideneren Einkünften die Leber „Danke!“ sagt? Muss ich mir im Gegenzug Sorgen um Radiologen oder Laborärzte machen? Mache ich nicht. Ich nutze die Gelegenheit, mein mittlerweile etwas abgestandenes Bier auf sinnlose Studien und die Gesundheit reicher Leute zu erheben, und freue mich, dass ich schon 10 000 Schritte gelaufen bin, bevor ich es eingegossen habe. Es besteht Hoffnung!