Ärztepfusch: Ich kann's nicht mehr hören
Nahezu rhythmisch, alle ein bis zwei Monate, leuchtet einem von der ersten Seite so ziemlich jeder Zeitung in großen Lettern das Wort ÄRZTEPFUSCH entgegen. So auch im Juni dieses Jahres, als ein entsprechender Report zu diesem Thema veröffentlicht wurde. Und natürlich las man es auch in unserer größten Lokalzeitung ganz vorn: „Tausende Fälle von Ärztepfusch“. Um dann im Kleingedruckten zu erfahren, dass die Zahl der ärztlichen Behandlungsfehler rückläufig war. Es folgte auf der Innenseite ein Artikel über die oftmals gleichen Ursachen dieses Problems.
Nun ist es sicher ein Recht und auch eine Pflicht der Presse, auf solche Missstände hinzuweisen. Aber mich ärgert doch jedes Mal dieses Unwort ÄRZTEPFUSCH. Denn es impliziert, dass die Mediziner dieses Landes Stümper sind, die ihr Handwerk nicht beherrschen. Dass das so nicht stimmt, kann man aber genau jener Studie entnehmen. Überbordende Bürokratie, organisatorische Mängel – z.B. bei der Umsetzung des Hygieneregimes – und nicht zuletzt das Verkommen unserer Krankenhäuser zu gewinnorientierten „Behandlungsfabriken“ sind oft die eigentlichen Ursachen von Fehlern.
Hinzu kommt der zunehmende Mangel an qualifiziertem Pflege- und Reinigungspersonal. Ich musste schon Krankenschwestern mit einer Stressdekompensation behandeln, die nachts alleine (!) eine ganze Station mit Frischoperierten zu versorgen hatten. Dadurch sind Probleme doch regelrecht vorprogrammiert. Für die Laienpresse ist das Schreiwort ÄRZTEPFUSCH sicher ein grandioser Aufmacher. Das liest doch wirklich jeder. Darauf möchte kein Redakteur verzichten.
Vergleichbar nur noch mit PFUSCH AM BAU, wenn irgendwo mal wieder ein Häusle einstürzt. Oder im Großflughafen BER die Schalter zum Lichtausmachen vergessen wurden. Oder ein Trafohäuschen ohne Tür entstanden ist. Darüber kann man ungläubig den Kopf schütteln oder manchmal sogar lächeln. Bei medizinischen Behandlungsfehlern kann niemand lächeln. Weil dort eben oftmals Menschen zu schaden kommen. Deshalb ist jeder dieser Fehler einer zuviel – ganz klar!
Immerhin kann man über den BER manchmal lächeln
Aber welche Zeitung schreibt denn mal etwas wie POLITIKERPFUSCH? Wo das doch gerade bei solchen Großprojekten wie dem BER eher die Regel zu sein scheint als die Ausnahme. Und wenn dann einer, der für das Versenken von Millionen Euro im märkischen Sand verantwortlich ist, notgedrungen gehen muss, dann nehmen seine Kollegen diesen Rücktritt „mit Respekt zur Kenntnis“. Auch das Wort JOURNALISTENPFUSCH habe ich noch nie gesehen.
Wenn hier mal ungenau recherchiert wurde und dadurch ein Irrtum entstanden ist, redet keiner dieser Leute von „Pfusch“. Selbst wenn man damit einem Menschen geschadet hat. Eine kleingedruckte „Richtigstellung“ auf Seite 3 muss reichen. Ansonsten kann er ja gerne klagen.
Entsprechend auch das Beispiel jenes privaten Fernsehsenders, der eine Sendung über Pädophilie ausstrahlte. Daraufhin wurde in Bremen ein Mann im Sinne von Lynchjustiz übel zusammengeschlagen, der überhaupt nichts damit zu tun hatte. Nur weil er dem Protagonisten ähnlich sah. Der übrigens auch nichts mit Pädophilie am Hut hatte. Er war nur zufällig ins Bild geraten, wie der Sender später erklärte. Warum spricht denn hier niemand von TV-REDAKTEURSPFUSCH?
Da sitze ich nun heute Nacht in meiner Praxis und habe Bereitschaftsdienst. Draußen regnet es, und ich bin durchnässt von meinem Einsatz zurückgekommen. Die neue Jacke, die ich mir extra gekauft hatte, sollte angeblich wetterfest sein. Ha! VERKÄUFERPFUSCH! Ich sollte darüber einen Zeitungsartikel schreiben.