Kolumne Weniger ÄBD-Praxen – und plötzlich wird demonstriert
Poolärzt:innen, die bisher bei personellem Ressourcenmangel – vor allem im hausärztlichen Bereich – den ÄBD im Auftrag der KV entscheidend mit sichergestellt haben, mussten entlassen werden. Dies hat den ÄBD personell massiv geschwächt. Es brauchte neue Konzepte.
Nun werden in einigen Bundesländern unumgängliche Umbauten des ÄBD vorgenommen. Beispielsweise werden in Baden-Württemberg 18 Bereitschaftsdienstpraxen geschlossen. Eine umfangreiche Reform des ÄBD wird eingeleitet. Und plötzlich wird lauthals demonstriert!
In der Sprechstunde werde ich von empörten Patientinnen und Patienten angesprochen: Das gehe doch nicht, dass die ,,Notfallpraxen“ überall schließen würden. Man müsse dringend etwas dagegen unternehmen. Landrät:innen und Bürgermeister:innen überbieten sich in Zornesbekundungen und hastigem Engagement für ,,ihre Notfallpraxis“.
Die Stimmung ist aufgeheizt. Themen werden vermischt. Die sich überschlagende Berichterstattung in Tageszeitungen schürt irrationale Ängste. Eine Differenzierung zwischen ÄBD und Rettungsdienst bzw. Notaufnahme wird nicht vorgenommen. Die Notfallversorgung der Bevölkerung ist von der ÄBD- Reform überhaupt nicht betroffen.
Das Bundesministerium für Soziales (BMAS) hätte durch einfache Ergänzung des § 23c Absatz 2 SGB IV, der Ausnahmen von der Beitragspflicht für Notärztinnen und -ärzte definiert, eine unbürokratische Regelung für Poolärzt:innen analog zum Rettungsdienst schaffen können. Dies war aber offensichtlich im BMAS nicht gewünscht. Vertreter:innen derselben Partei des Bundessozialministers echauffieren sich nun an der politischen Basis über Schließungen von ÄBD-Praxen.
Seit Jahren wird vor den Folgen insbesondere des gravierenden Hausärztemangels gewarnt, nun ist er im Zusammenspiel mit dem BSG-Urteil bei den Leuten angekommen. ÄBD-Praxen schließen oder werden an größeren Orten zusammengelegt. Die Wege für Patientinnen und Patienten zur nächsten Bereitschaftsdienstpraxis werden dadurch definitiv weiter. Ist das unzumutbar oder bringt das gar die Notfallversorgung in Gefahr? Sicher nicht! Aber wir müssen uns neuen Versorgungsrealitäten stellen.
Bürgermeister:innen stürmen die KV-Vertreterversammlung, um ihren Unmut zu bekunden. Es gibt Demonstrationen vor ÄBD-Standorten, die geschlossen werden sollen. Leserbriefe besorgter Bürgerinnen und Bürger in den Zeitungen. Petitionen und Unterschriftenlisten werden gestartet.
Ich frage mich: Wo waren all diese Leute in der Vergangenheit, als eine Hausarztpraxis nach der anderen aus der Regelversorgung verschwunden ist und als die verbliebenen Hausärzt:innen budgetiert wurden, weshalb ihre erbrachten Leistungen bis heute nicht voll bezahlt werden?
Das hat niemanden von denen, die sich jetzt lautstark empören, wirklich interessiert. Jetzt wird der Ressourcenmangel bei den Bürger:innen spürbar: Der niedergelassene ärztliche Nachwuchs fehlt. Immer mehr Ärztinnen und Ärzte gehen in den Ruhestand. Der ÄBD muss dringend reformiert werden.
Wir haben schlicht nicht mehr die personellen Ressourcen, um den Ärztlichen Bereitschaftsdienst in der bisherigen Struktur aufrechtzuerhalten. Telemedizinische Lösungen müssen stärker genutzt, Standorte zusammengefasst und Ressourcen gebündelt werden. Vor allem aber gilt: Wir müssen endlich die Regelversorgung stärken! Das Motto hat zu lauten: ,,Regelversorgung vor Notfalldienstversorgung.“ Dafür sollte entschlossen demonstriert werden.