Arzneimittelknappheiten Wie gravierend sind die Lieferengpässe?
Die KBV schlägt Alarm: Das im vergangenen Jahr eingeführte Gesetz zur Bekämpfung von Lieferengpässen wirke nicht und die Lage sei insbesondere vor der bevorstehenden Herbst-Winter-Saison prekär. Rund 500 offene Lieferengpass-Meldungen weise das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte derzeit aus.
Knapp seien zum Beispiel GLP1-Rezeptor-Agonisten wie „Ozempic“ für Diabetes-Patientinnen und -Patienten. Auch die Medikamente Salbutamol, welches unter anderem zur Behandlung von Asthma eingesetzt wird, und Timolol, das bei erhöhtem Augeninnendruck hilft, würden knapp werden. Fiebersäfte für Kinder seien ebenfalls von den Lieferengpässen betroffen.
Die KBV rät dazu, Rabattverträge kritisch zu hinterfragen. „Um sie konkurrieren die Hersteller von Generika-Präparaten in Ausschreibungen der gesetzlichen Krankenkassen. Die Margen für die Hersteller sind dabei häufig so gering, dass die Verlockung groß ist, auf Medikamente umzustellen, die mehr Gewinn bringen als Hustensäfte oder Antibiotika. Generika, also patentlose Arzneimittel, stellen rund 80 % des deutschen Arzneimittelmarktes dar“, erklärt die KBV.
Apotheken wollen Mehraufwand bezahlt haben
Angesichts der Lieferengpässe hat der Deutsche Apothekertag eine Stärkung der Apotheken vor Ort verlangt. Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) berichtet davon, dass die Mitglieder den Antrag einstimmig unterstützen. Dieser fordert den Gesetzgeber auf, die öffentlichen Apotheken so zu stärken, dass eine schnelle und effiziente Versorgung von Patientinnen und Patienten gewährleistet werde und Therapieverzögerungen vermieden werden.
Ebenfalls wird die Forderung gestellt, die Dokumentationen gegenüber den gesetzlichen Kassen zu begrenzen, sodass die Taxbeanstandungen weitgehend ausgeschlossen werden. Außerdem solle es einen angemessenen finanziellen Ausgleich für den zusätzlichen Aufwand bei der Bewältigung von Lieferengpässen geben und die Lieferengpasspauschale solle angehoben werden.
Die ABDA verweist auf den Apothekenklima-Index 2024, eine repräsentative Umfrage unter 500 Apothekeninhaberinnen und -inhabern. Für jene gehören Lieferengpässe mit 82 % zu den größten Ärgernissen im Versorgungsalltag. Die Mehrheit der Apothekenteams (77 %) müsse für die Bewältigung der Lieferengpässe zwischen 10 und 40 Stunden pro Woche aufwenden.
Keine Hinweise auf eine unsichere Versorgungslage
Laut Wissenschaftlichem Institut der AOK (WIdO) gibt es derzeit keine Hinweise auf drohende Versorgungsengpässe oder Lieferschwierigkeiten bei Arzneimitteln. Lediglich 735 der 63.000 Arzneimittel, die 2023 auf dem Markt erhältlich waren, seien nach aktueller Auswertung von den pharmazeutischen Herstellern als nicht lieferfähig gemeldet. Somit seien Anfang Oktober 2024 98,8 % aller Medikamente verfügbar gewesen.
Für die aktuell als lieferunfähig gelisteten Arzneimittel seien in der Regel wirkstoffgleiche Alternativen verfügbar. Unter Nutzung der einzigen amtlichen Quelle über Lieferunfähigkeiten in Deutschland zeige sich, dass die Versorgungssicherheit in Deutschland nicht gefährdet sei.
Neben einer Verfügbarkeitsquote aller Produkte von 98,8 % könne auch hinsichtlich der Verordnungsabdeckung Entwarnung gegeben werden: 99,9 % der 2023 verordneten Arzneimittel seien derzeit verfügbar oder können im Fall der aktuell als lieferunfähig gelisteten Arzneimittel durch identische Alternativprodukte oder Präparate anderer Hersteller, die hinsichtlich Reichweite und Darreichungsform ähnlich seien, ersetzt werden.
Um die immer wieder behaupteten Versorgungsengpässe empirisch besser überprüfen zu können, fordert das WIdO eine verpflichtende Meldung von Lieferengpässen, die vom Hersteller über den Großhandel bis zur Apotheke reichen soll. Es sei unbegreiflich, dass man den Weg von Paketsendungen online mitverfolgen könne, dies aber bei der hiesigen Medikamentenversorgung nicht schaffe.
AOK: Rabattverträge machen keine Probleme – im Gegenteil
Der AOK-Bundesverband teilt die Meinung, dass die aktuelle Datenlage nicht darauf hinweise, dass es zu hohen Lieferschwierigkeiten und Versorgungsengpässen kommen werde. Bedauerlich sei, dass in der Debatte immer wieder auf die Rabattverträge der Krankenkassen als Ursache von Lieferschwierigkeiten abgehoben werde.
Tatsächlich verhalte es sich genau andersherum: Rabattverträge würden zu einer hohen Versorgungssicherheit beitragen, da sie die Hersteller zur Bevorratung verpflichten und Absatzmengen kalkulierbar machen. Für die aktuell knappe Kochsalzlösung gebe es dagegen keine Rabattverträge.
Das Problem besteht nach Ansicht des AOK-Bundesverbandes in einem Mangel an Transparenz. So gebe es für Arzneimittel aktuell keine verpflichtende Dokumentation zur Lieferfähigkeit der Hersteller und der in Großhandel und Apotheken vorgehaltenen Mengen. Hier herrsche dringender Regelungsbedarf.
Quelle: Medical-Tribune-Bericht