Arzneimittel-Lieferengpässe: Neues Gesetz könnte Praxisalltag erleichtern

Praxisführung , Praxismanagement Autor: Anouschka Wasner

2013 zählte das BfArM 42 nicht lieferbare Arzneimittel, 2019 waren es 357. 2013 zählte das BfArM 42 nicht lieferbare Arzneimittel, 2019 waren es 357. © iStock/zorazhuang

Das „Gesetz für einen fairen Kassenwettbewerb in der gesetzlichen Krankenversicherung“ trägt im Huckepack auch Maßnahmen gegen Arzneimittel-Lieferengpässe. Ist damit endlich Schluss mit genervten Patienten, ratlosen Apothekern und wuchernder Dokumentation?

Lieferengpässe bei Medikamenten sind ein „unlustiger Wahnsinn“, finden die Drs. Florian Nieschlag, Peter Sörensen und Stephanie Heidrich, Hausärzte aus dem niedersächsischen Lehrte. Ein Problem seien dabei „die zeitraubenden Telefonate, mit denen wir in der Sprechstunde von den Apothekern gestört werden mit der oft nicht zu beantwortenden Frage nach Therapiealternativen“. Dem einen Zeitfresser folgt dann der nächste: Der erneute Besuch des betroffenen Patienten, „der bei uns Dampf ablassen will und sich über eine Problematik beschwert, die wir weder ändern noch recht erklären können“.

Unter Apothekern spricht man von bis zu 10 % Mehrarbeit durch Lieferengpässe. Bei den Hausärzten sei das Problem unterschiedlich präsent, so Dr. Gerd Zimmermann, ehemaliger KV-Vize in Hessen und bis vor kurzem Hausarzt in Hofheim/Ts. Eine Rolle spiele die Region, in der sich die Praxis befinde, eine andere die Möglichkeit, gute Beziehungen zu „seinen“ Apothekern aufzubauen. Oft reiche ein „Aut-idem-Kreuz“ zu setzen, um dem Apotheker die Freiheit zu lassen, ein anderes – identisches – Präparat abzugeben. In vielen Fällen handele es sich also nicht wirklich um ein Versorgungsproblem, sondern um eines mit den Rabattverträgen.

Zeitaufwand, Ärger und Regressängste durch Engpässe

Die Dreier-Gemeinschaftspraxis aus Niedersachsen fürchtet aber auch Regresse: „Wenn N3-Packungen nicht lieferbar sind und wir mehrfach N2 verordnen müssen oder unnötig große und teure Abpackungen bei Nichtlieferbarkeit von kleinen Packungsgrößen verschreiben müssen.“ Die Kollegen glauben: „Auch für die entstehenden Mehrkosten werden wir uns im schlimmsten Fall verantworten müssen.“

Diese Angst vor Regressen sei etwas, das von KVen und Kassen geschürt werde, glaubt Abrechnungsexperte Dr. Zimmermann. Sicher sei: Bei einer Auffälligkeit müsse ein Arzt zunächst eine Beratung erhalten. Erst, wenn sich ein echter Fehler nicht abstellen lasse, folge ein Regress­antrag. Spätestens bei einer solchen Beratung würde sich also der Grund für die unwirtschaftliche Verordnung klären lassen. Obwohl Lieferengpässe ein vielbeachtetes Thema sind, war bislang niemand in der Lage, aussagekräftige Informationen bereitzustellen, welche konkreten Engpässe in Deutschland bestehen und wie oft versorgungsrelevante Arzneimittel bzw. Wirkstoffe betroffen sind. Insbesondere, weil die produzierenden Unternehmen bislang nur einer Selbstverpflichtung zur Anzeige ihrer Lieferengpässen an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) unterliegen.

Steigerungsrate der Engpass-Meldungen ist deutlich

Doch auch die freiwillige Melderegelung lässt den Missstand erkennen. In einer Bundesratsinitiative, die das Bundesland Hessen kürzlich auf den Weg gebracht hatte, da es die bis dato von der Bundesregierung getroffenen Maßnahmen für nicht ausreichend hielt, wird die Entwicklung beschrieben: Im Jahr 2013 seien dem BfArM 42 nicht lieferbare Arzneimittel gemeldet worden, fünf Jahre später schon 268 und in 2019 bereits 357, von denen sogar rund 60 % versorgungsrelevante Wirkstoffe betrafen.

Das soll jetzt anders werden. Im Faire-Kassenwettbewerb-Gesetz (GKV-FKG), das dem Bundestag am 13. Februar zur Verabschiedung vorlag, geht es eigentlich um den morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich. Daneben soll das Gesetz aber Änderungsanträgen zufolge auch die Auswirkungen von Liefer­enpässen in den Griff bekommen:

  • Eine Meldepflicht für Großhändler und pharmazeutische Unternehmer soll dem BfArM aussagekräftige Informationen zu Beständen, Absatzmengen und drohenden Engpässen von versorgungsrelevanten Arzneien liefern. Vergleichbares ist für bestimmte Fertigarzneimittel vorgesehen.
  • Sind rabattierte Arzneimittel nicht lieferbar kann der Apotheker ein wirkstoffgleiches Produkt ohne Rücksprache mit dem Arzt abgeben. Ist hierbei kein Arzneimittel zum Festbetrag verfügbar, wird die Aufzahlung nicht vom Versicherten, sondern von dessen Krankenkasse getragen.
  • Die Jour Fixe genannte Expertenrunde des BfArM wird per Gesetz zum „Beirat zu versorgungsrelevanten Lieferengpässen“ aufgewertet. Dessen Aufgabe ist die stetige Beobachtung der Versorgungslage und die Bewertung eines Lieferengpasses mit Blick auf Therapiealternativen. Zum Beirat gehören u.a. Fachgesellschaften von Ärzten und Apothekern, Arzneimittelkommissionen der Kammern, die KBV, Patientenvertreter, Hersteller, pharmazeutischer Großhandel sowie Krankenkassen.
  • Eine Liste definierter versorgungsrelevanter und versorgungskritischer Wirkstoffe soll über das BfArM online einsehbar sein.
  • Bei drohenden oder bestehenden versorgungsrelevanten Lieferengpässen können die Bundesoberbehörden Lagerhaltung und Kontingentierungen anordnen sowie herstellende Unternehmen und Arzneimittelgroßhändler Maßnahmen zur Gewährleistung der Bereitstellung ergreifen lassen.
  • Bei bestimmten Arzneimittelgruppen kann bei Lieferengpässen von der Kennzeichnung und Etikettierung in deutscher Sprache abgesehen werden.

Werden damit die Lieferengpass-Ärgernisse für Ärzte, Patienten und Apotheker beendet sein? Das vielleicht nicht. Aber das Gesetz scheint die Probleme der Betroffenen tatsächlich aufgreifen zu wollen. Nämlich was ihren Mehraufwand durch die Lieferengpässe betrifft, die möglichen Mehrkosten und auch die Regressängste.

Medical-Tribune-Recherche