Lieferengpässe: AOK verteidigt die exklusiven Arznei-Rabattverträge
„Lieferengpässe haben zwar viele, auch global bedingte Ursachen. Die Rabattverträge sind aber für die Arzneimittelversorgung in Deutschland ein zentrales Problem“, erklärt Dr. Kai Joachimsen. Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie (BPI) verweist auf das Deutsche Arzneiprüfungsinstitut. Nach dessen Berechnung waren 2018 insgesamt 9,3 Mio. Packungen rabattvertragsgeregelter Produkte nicht verfügbar. Ein Viertel der aktuell beim BfArM als lieferunfähig gemeldeten Produkte ist laut BPI unter Rabattvertrag. Dr. Joachimsen beklagt eine drastische Zunahme der Marktkonzentration seit Einführung dieses Instruments.
Der AOK-Bundesverband sieht die Lage ganz anders. „Der wahre Grund für die Desinformationskampagnen von Pharmalobby und Apotheken liegt im Erfolg unserer Rabattverträge“, meint Verbandschef Martin Litsch. Bei den 9000 Arzneimitteln mit AOK-Vereinbarung betrage der Anteil der lieferbaren Präparate 99,7 %.
Meldepflichten für Hersteller, Händler und Apotheker
„Selbst dieser marginale Anteil von Lieferengpässen bedeutet noch keinen Versorgungsengpass. Denn in der ambulanten Versorgung stehen normalerweise immer genügend Arzneimittel anderer Hersteller zur Verfügung“, beruhigt Litsch. Und im Krankenhaus, wo „die wirklich drängenden Lieferengpässe“ bestünden, gebe es gar keine Rabattverträge.
„Um die Versorgung zu sichern, brauchen wir vor allem Transparenz und verpflichtende Meldungen über Lieferengpässe. Und zwar auf allen Ebenen, vom Hersteller über den Großhandel bis zur Apotheke“, so der AOK-Verbandschef. Genau das will das Bundesgesundheitsministerium nun im Faire-Kassenwettbewerb-Gesetz regeln. „Außerdem ist es richtig, dass die Aufsichtsbehörden die Vorratshaltung von Arzneimitteln auf allen Distributionsstufen regelmäßig prüfen sollen und hierzu mehr Kompetenzen erhalten“, lobt Litsch Jens Spahns Regelungspläne.
Völlig fehl geht aus Sicht der AOK jedoch die Überlegung, verpflichtende Mehrfachvergaben bei den Rabattverträgen einzuführen. „Was soll sich verbessern, wenn drei Unternehmen den Zuschlag erhalten, deren Produkte alle aus derselben Fabrik kommen?“, fragt der Chef-Verhandler der AOK-Rabattverträge, Dr. Christopher Hermann.
Denn Lohnherstellung, also die Produktion im Auftrag eines anderen Unternehmens, sei bei europäischen Generikaanbietern die Regel. Unter 193 in Europa tätigen Herstellern befänden sich nur elf, meist kleinere, die tatsächlich für sich selbst produzieren. 59 (Lohn-)Hersteller, die Vertragspartner der AOK sind, hätten ihren Sitz in Deutschland. „Deshalb sind Forderungen nach einer verstärkten Arzneimittelproduktion ‚Made in Europe‘ nur Nebelkerzen“, so der Vorsitzende der AOK Baden-Württemberg. Deutschland habe einen Anteil von 4 % am globalen patentfreien Markt. „Davon lassen sich profitorientierte Konzerne wohl kaum beeinflussen.“
Pharmafirmen mit Exklusivverträgen könnten ihre Absatzmengen besser planen, erklärt die AOK. Bei Wirkstoffen, die von drei Rabattpartnern beliefert würden, entfielen dagegen im Schnitt 60 % der Rezepte auf den verordnungsstärksten Partner, 28 % auf den zweiten und 12 % auf den schwächsten Partner.
Vertragsstrafen und Exportbeschränkungen
Der Ersatzkassenverband vdek fordert, ergänzend zu den geplanten Gesetzesregelungen, Sanktionsmechanismen und sozialrechtliche Vertragsstrafen- bzw. Schadensersatzregelungen, wenn der pharmazeutische Unternehmer die Lieferunfähigkeit verursacht hat. Für Großhändler sollten bei Lieferengpässen Exportbeschränkungen oder gar ein Exportverbot eingeführt werden. Auch die Ersatzkassen möchten die bestehenden Ausschreibungs- und Vergabemodalitäten auf Kassenebene beibehalten.
Medical-Tribune-Bericht