Verbände fürchten europaweite Versorgungsengpässe bei Medizinprodukten

Gesundheitspolitik Autor: Saskia Göthel

Chirurgisch-invasive Instrumente wie Skalpelle und Scheren könnten schon bald knapp werden. Chirurgisch-invasive Instrumente wie Skalpelle und Scheren könnten schon bald knapp werden. © iStock/tomasworks

In weniger als einem Jahr tritt eine EU-Verordnung zu Medizinprodukten in Kraft, doch die Umsetzung schwächelt. Als Folge wird ein Mangel z.B. an chirurgischen Instrumenten und Implantaten in Krankenhäusern erwartet.

Mit der EU-Medizinprodukte-Verordnung (MDR) reagierte die Europäische Politik im Frühjahr 2017 auf mehrere Vorfälle, bei denen Medizinprodukte wie Brust­implantate eine mangelnde Qualität aufwiesen. Nach einer Übergangsphase, die im Mai 2020 endet, sollen Medizintechnikprodukte strenger überwacht und zertifiziert werden.

Diagnose-Software und chirurgische Instrumente werden höher klassifiziert

Wesentliche Inhalte der MDR sind zum einen die erhöhten Anforderungen an klinische Daten und Bewertungen. Zum anderen werden Produkte wie Software, die zur Dia­gnosefindung verwendet wird, und vor allem wiederverwendbare chirurgisch-invasive Instrumente wie Skalpelle und Scheren höher klassifiziert und bedürfen damit nun auch einer Zertifizierung. Diese findet durch sogenannte „Benannte Stellen“ wie den TÜV statt, die jedoch selbst erst noch neu bestimmt werden müssen.

Die Art der Umsetzung stößt europaweit auf Kritik. „Neun Monate vor Geltungsbeginn fehlen den MedTech-Unternehmen noch immer die Voraussetzungen, die MDR umzusetzen“, kritisiert der Geschäftsführer des Bundesverbandes Medizintechnologie (BVMed), Dr. Marc-Pierre Möll. Bisher wurden vier Benannte Stellen ernannt, eine davon liegt in Großbritannien und würde durch den Brexit wegfallen.

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft zeigt sich eher zurückhaltend. Sie teilte dem Deutschen Gesundheitsministerium dennoch mit, dass „mögliche negative Effekte auf die Versorgungssicherheit erfasst und pragmatisch bearbeitet“ werden sollten.

Indirektes Verbot von Einmalprodukten?

Kritischer als die MDR sieht die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) den Entwurf für „Gemeinsame Spezifikationen“, der die im MDR festgelegte Regelung zur Wiederaufbereitung von Einweg-Medizinprodukten ergänzen soll. Hier gingen die Vorschriften weit über den Wortlaut im MDR hinaus und stellten für eine Wiederaufbereitung so hohe Anforderungen an Krankenhäuser, dass es einem indirekten Verbot „durch die Hintertür“ gleichkäme, teilte die DKG der Europäischen Kommission mit.

Bisher weniger „Benannte Stellen“ als benötigt

Der Europäische Dachverband MedTech Europe sieht die derzeitige Umsetzung dagegen sehr kritisch. Zehntausende Medizinprodukte – ob Software, Implantate oder chirurgische Instrumente – müssten den Prozess der Zertifizierung bis Mai 2020 durchlaufen, heißt es im offenen Brief an die EU-Kommission. Eine einzelne Zertifizierung würde drei bis neun Monate benötigen. Um diese Menge rechtzeitig zu zertifizieren, seien viel mehr Benannte Stellen notwendig.

Einzelne Betriebe stellen bereits den Betrieb ein

Über 90 % der Medizintechnik-Hersteller sind mittelständische Unternehmen, für die eine Zertifzierung eine personelle und finanzielle Belastung darstellt. Die Verbände prognostizieren, dass viele dieser Unternehmen ihre Produktlinien verkleinern, einige Produktionen einstellen oder sich Ländern außerhalb Europas zuwenden werden. Einzelne Anbieter wie etwa die Retina Im­plant AG, die Netzhautimplantate produziert hat, stellen ihren Betrieb sogar gänzlich ein. Die Europäische Kommission müsse die MDR ab sofort schneller und effizienter umsetzen, fordern die Verbände. Ansonsten drohten europaweit massive Engpässe in der Patientenversorgung – auch in Deutschland.

Medical-Tribune-Bericht