Wissenschaftlerinnen geben Tipps zur Karriereplanung
Über 60 % aller Studierenden in der Humanmedizin sind weiblich. Im Fach Biologie sind es 65 %. Jede zweite Biologin strebt den Doktortitel an und mehr als 50 % der Medizinerinnen tragen den Facharzttitel. Diese Frauenmacht spiegelt sich in Führungspositionen allerdings nicht wider. Nur jeder zehnte Führungsjob im deutschen Gesundheitswesen wird von Frauen ausgeübt. In der Inneren Medizin an Universitätsklinika sind sogar nur 3 % der ärztlichen Führungspositionen weiblich besetzt.
Der richtige Partner und Netzwerke helfen
Dabei können Frauen mit Mut, Motivation und dem richtigen Gespür für männliche Konkurrenten durchaus Karriere machen und zugleich mit Leidenschaft ihrem Forscherdrang nachgehen. Das gilt für Frauen ohne und mit Kindern gleichermaßen, wie die Berichte von Dr. Sonja Hansen, PD Dr. Uta E. Höpken, Professor Dr. Dr. Ulrike Köhl und Dr. Susanne Schaffert verdeutlichen. Allerdings sei es auch wichtig, so die Frauen, sich den richtigen Partner auszusuchen, der alle Belastungen mitträgt.
Die Wissenschaftlerinnen, alle im Bereich der Onkologie tätig, raten eindringlich, Netzwerke aufzubauen, auf die man – im aktuellen wie im neuen Job – zurückgreifen kann. Netzwerken hilft auch bei der Jobsuche, denn Positionen werden nicht selten über Beziehungen vergeben. Und wer beim Gehalt unsicher sei, könne sich z.B. vom Hochschulverband hierzu beraten lassen – Männer täten dies jedenfalls, sagt Prof. Köhl. Sie rät ferner dazu, Mentorenprogramme zu nutzen. Manchmal seien auch zwei Mentoren hilfreich.
„Betrachten Sie einen steinigeren Weg mit Kindern nicht als Scheitern“, sagt die zweifache Mutter, die einen für sie sehr lukrativen Job einst absagen musste, weil sie mit dem ersten Kind schwanger geworden war. Prof. Köhl hat Medizin und Biologie studiert und leitet heute das Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie IZI. Zugleich ist sie Direktorin der Klinischen Immunologie der Universität Leipzig und des Instituts für Zelltherapeutika der Medizinischen Hochschule Hannover.
Wichtig ist, sich selbst gut zu verkaufen
„Frauen sind selbst schuld, wenn sie sich nicht trauen, wenn sie sich in Veranstaltungen nicht zu Wort melden und ihre Ideen nicht einbringen“, sagt Dr. Höpken. Was falsch läuft beschreibt sie am Beispiel einer typischen Konferenzsituation: Frauen setzten sich unauffällig auf den einzigen freien Platz im Raum und warteten ab. Männer stellten ihre Tasche auf den Stuhl und begrüßten erst einmal alle anderen in der Runde mit Schulterklopfen. Das nenne man dann „He walks the room“. Sich gut zu verkaufen, sei extrem wichtig. „Man muss auf die Leute zugehen, sich sichtbar machen“, so die Forschungsgruppenleiterin am Max Delbrück Center für Molekulare Medizin, Berlin.
Dr. Höpken wollte Verhaltensforscherin werden, heute ist sie mit translationalem Ansatz in der Zellforschung unterwegs. An der Forschung liebt sie die „intellektuelle Freiheit“. „Am schlimmsten“ sei die Frauenquote, auch wenn diese vielleicht in manchen Bereichen notwendig sei, sagt sie. Die Quote könne dazu führen, dass Frauen an ihrer Leistung zweifelten und sich schlecht fühlten. Sie fragten sich, ob die Stelle nur wegen der Frauenquote an sie vergeben wurde. Zu verstehen sei das allerdings nicht, denn „warum macht sich die Frau klein und schlecht?“. Das müsse sich ändern.
„Keine Kompromisse machen!“
Man muss sich der eigenen Werte bewusst sein und sich ein Umfeld suchen, wo man sich wohlfühlt. „Keine Kompromisse machen!“ Das betont Dr. Schaffert, seit 1995 in verschiedenen Positionen beim Pharmaunternehmen Novartis und seit 2019 Präsidentin Novartis Onkologie. Zu viel Bescheidenheit habe noch niemanden vorangebracht, erklärt sie. Frauen wollten sich nicht anbiedern, Männer seien hier jedoch schmerzfrei. Männer sagten: „Ich will Ihre Stelle haben, was muss ich dafür tun?“ Von Frauen habe sie das noch nie gehört.
Die promovierte Chemikerin kennt aber auch bessere Wege, um in der Karriere voranzukommen: „Ich nehme mir heute viel Zeit für Netzwerke.“ Sie berichtet über Teams, die sie aufgebaut und mit denen sie gearbeitet hat und mit denen sie noch heute in gutem Kontakt steht. Sie stellt sich auch anderen Firmenchefs vor, wenn sie etwas lernen will, z.B. wie gerade über Künstliche Intelligenz.
Als wichtig bezeichnet Dr. Schaffert, dass man als Frau authentisch bleiben muss. „Ich verstehe, dass das gerade für junge Frauen und dann vielleicht noch als einzige Frau unter Männern schwierig ist“, sagt sie. Sie sei anfangs im schwarzen Hosenanzug zu Sitzungen mit „klassischen Managern“ gegangen. Später habe sie ihren eigenen Stil wiedergefunden. Man müsse sich letztlich das Umfeld suchen, in das man reinpasse.
Manchmal kann auch „Verbiegen“ Türen öffnen, erinnert sich Prof. Köhl. Einmal lenkten die Männer in der Runde das Gespräch höflich auf die Themen Kinder und Kleidung. Das habe ihr aber nichts gegeben. Sie habe deshalb vor der nächsten Sitzung die Fußballergebnisse studiert und sei so mit den Herren ins Gespräch gekommen. „Das gehört zum Spiel dazu.“ Es müsse ja nicht unbedingt um Fußball gehen. Man müsse sich nur erkundigen, was gerade Thema sei. Dies bestätigt Dr. Schaffert: „So kann man die ersten zehn Minuten überstehen und dann geht es an die fachlichen Themen.“
Die Bedeutung des Netzwerkens bestätigen auch die anderen Frauen. Kontakte und Beziehungen sind wichtig für die Karriere. Auch Plattformen wie XING seien sehr hilfreich, sagt Dr. Hansen, die viele Jahre in den USA im Labor geforscht hat. Die Biologin arbeitet heute als EU-Projektmanagerin am Max Delbrück Center für Molekulare Medizin, Abteilung wissenschaftliche Infrastruktur. Im Fokus stehen dabei u.a. Projekte aus der Leukämie- und Brustkrebsforschung. Auch sie schätzt die Vernetzung. In Boston hatte sie diese und ihr sportlicher Ehrgeiz u.a. zur Trainerin der Jugend-Nationalmannschaft im Handball gemacht. Auch die anderen Frauen berichten darüber, dass besondere außerberufliche Aktivitäten – etwa das Gründen einer Ballettschule und das Mitspielen im Puppentheater –Türen zu neuen Jobs öffnen können: „Das muss in die Bewerbung, denn es wird dich abgrenzen!“
Quelle: Lead and Inspire – Woman in Science