Wovon träumen Lauterbach & Co.?
Ja, wir leben in einer Pandemiezeit, und die ist auch Hochzeit für Experten. Einer davon: Professor Lauterbach, der in jeder zweiten Talkshow erscheint und uns erklärt, was wir eigentlich niemals wissen wollten. Da er offenbar im Bundestag oder in der SPD nicht viel zu tun hat, hagelt es täglich mehrere Tweets des „Gesundheitsexperten“. Nicht immer bin ich mit ihm einer Meinung, doch manchmal sträuben sich mir regelrecht alle Nackenhaare: „Die Grippeimpfung ist daher m.E. in dieser Saison jedem zu empfehlen, auch der Grippe-Geringrisikogruppe“ schrieb er neulich, und ich lud ihn daraufhin zu einer Hospitation in unsere Praxis ein. Noch hat er sich nicht angemeldet.
900 Impfdosen hatten wir bestellt, und heute (ich schreibe dies Anfang Oktober) sind schon 600 Spritzen verimpft. Normalerweise kommen wir mit 500 Impfdosen pro Saison aus, und die meisten Impfwünsche werden ab Mitte Oktober geäußert. „Ich hab mich ja sonst nie impfen lassen“, beginnt das übliche Gespräch darüber, „aber jetzt soll man das ja machen wegen Corona. Kann ich gleich hierbleiben?“ Ja, können Sie.
Ich bin froh, dass Diabetiker oder COPDler, alte Dame oder junger Rheumatiker endlich vorbeugen will. Was habe ich mir früher vergeblich Fransen an den Mund geredet!
Aber was mache ich mit den anderen? „In der Zeitung stand, jetzt sollen sich alle impfen lassen!“, sagt so ein typischer Kunde, Mitte 30, fit, im Einzelbüro arbeitend. „Das möchte ich jetzt gern tun.“ Tja, gebe ich nun eines meiner kostbaren Seren ab? Im Prinzip hat der Gesundheitsprofessor ja Recht, dass es klug ist, einer vermeidbaren Erkrankung vorzubeugen, wenn die Belegung der Intensivbetten wegen COVID-19 ständig steigt. Aber was mache ich, wenn der alte Diabetiker Ende des Monats nach seiner Impfung fragt und keine mehr kriegt, obgleich wir (Vorsicht, Eigenwerbung!) so klug waren, mehr zu bestellen?
Dann wäre es schön, wenn Prof. Lauterbach, freundlich durch seine Brille schauend, dem jungen fitten Patienten erklären könnte, dass wir leider doch nicht im Wünsch-Dir-was-Land leben und man nicht immer alles bekommen kann, was empfehlenswert wäre. Aber er kommt ja leider nicht, und darum habe ich mir einen Kompromiss überlegt: Wer jung, gesund und nicht gefährdet ist, wird gebeten, im Dezember nochmal anzurufen. Habe ich dann noch Impfstoff übrig, werde ich ihn gerne verabreichen. Wenn dann die herzinsuffiziente alte Lady im Januar im Schneeregen steht, weil alles alle ist, kann ich dann auch nichts dafür, denn wegwerfen will ich das Zeug ja nicht.
Bisher haben die abschlägig Beschiedenen verständnisvoll reagiert, aber ich wappne mich schon gegen andere: „Wer sind Sie eigentlich, dass Sie mir verweigern wollen, was offiziell empfohlen wird?“, werde ich gefragt werden und mich dann mit dem scharfen Schwert der STIKO-Empfehlungen wehren. „Und was ist, wenn ich jetzt meine schwerkranke Mutter anstecke?“ Das ist ein Argument, das ich leicht mit „dann impfen wir eben Ihre Mutter“ entkräften kann. Aber den Zorn des Egozentrikers, der nur sich selber sieht und meint, dass er alles kriegt, was er will, weil seine Eltern ihrem Herzchen jahrzehntelang jeden Wunsch erfüllt haben, werde ich ertragen müssen.
Den Rest aber gibt mir NRW-Gesundheitsminister Laumann mit seinem heutigen Statement: „Ich erkenne jetzt nicht, dass wir einen Run auf die Impfstationen haben.“ Herr Minister, wo im Dunklen leben Sie denn? Wenn Prof. Lauterbach schon nicht kommt, dann besuchen Sie uns doch mal! Oder schauen Sie wenigstens bei Twitter rein, denn da beschreiben meine Kolleg*innen ihre Beschaffungsprobleme. Ich hoffe, Sie sind schon geimpft, sonst rate ich zur Eile. Gern geschehen.